11. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1983/84

Gespräche - ein Feuil leton Im Gespräch wird eine Beziehung sprachlich lebend ig - oder nicht. Acht Jahre Gespräche - oder nicht - liegen hinter uns. Zum Teil haben wir gelernt, echte Gespräche zu führen , zum Teil sind sie uns nicht ermöglicht oder zerstört worden . Aber immerhin. Wir haben posit ive Vorbilder, viele von uns können Gespräche führen. DAS BIO-JAUSENSTANDL Die Gespräche haben sieht- und eßbare Frucht getragen in unserem Bio-Jausenstandl, das über ein Jahr an jedem Donnerstag Biokost zu Selbstkostenpreisen und darunter anbot. Natürlich mußten wir zuerst Eis brechen . In langen Gesprächen mit dem Direktor, der sch ließlich unter unse- ren treuen Blicken und Argumenten schmolz. Danke. Aller- dings waren uns bestimmte Nahrungsmittel aus hygieni- schen Gründen verboten . Wir hielten uns eisern an diese Vorschrift. Wie schon im Paradies gab es allerdings klei- nere Sündenfälle. Wir garantieren aber, daß diese Äpfel immer sauber gewaschen waren. Ehrlich. WÖRTER Etwas Schlimmes ist passiert , sagen die Leute: B. hat ihre Sprache verloren. Aber es stimmt nicht - sie hat sie nur vergraben, ganz tief in ihrem Inneren - B. versucht es jetzt ohne Sprache. Sie weiß nicht mehr, wann es begonnen hat. Irgendwann einmal sind ihre Wörter zu viel geworden , und schwer, und gewichtig, und verzweifelt hat B. in ihrem Buchstabenmeer gewühlt , hat ein Wort an das andere gereiht , ausgetauscht , weggelassen, doch sogar die kürzesten Wörter haben tonnenschwere Sätze ergeben. Da war nichts mehr von der Leichtigkeit, mit der sie sich früher von der Zunge gelöst haben , bevor sie zu Luft gewor- den sind. Jetzt bleiben sie kleben, auf der Zunge, und lähm- ten sie, und wenn sie dann doch herausplumpsten , dann hatten sie bereits ihre Ehr lichkeit ver loren und hingen als Lüge im Raum. 8. D-Klasse B. kann sich noch erinnern an das Mädchen , das sie einmal gekannt hat - das Mädchen mit den schönen Wörtern. Auch B.s Wörter waren schön , und sie sind immer schöner geworden, je länger sie das Mädchen gekannt hat. Und B. ist ganz besonders vorsichtig umgegangen mit die- sen Wörtern - sie hat sich erfreut an ihrem Strahlen , ihrer Klarheit , ihrer Zärtlichkeit , und sie hat es genossen, sie mit der Zunge vorsichtig zu berühren , sie hin und her zu dre- hen, den Sinn herauszu leeren, bis das Wort ganz nackt dagestanden ist, in se inen Buchstaben und seinem Klang, und nur ganz se lten hat B. dabei die Lippen weit genug geöffnet, um es freizulassen. Oft haben be ide die gleichen Wörter gehabt, B. und das Mädchen , nur, B.s Wörter waren leise, waren Gedanken, während die Wörter des Mädchens durch die ganze Welt schallten und all e die mitgerissen haben , die die Suche schon fast aufgegeben hatten , nach dem einzigen Menschen der Welt, der ihre Sprache sprach. Und da hat B. angefangen, ihre schönen Wörter zu hassen . Sie sind so fremd in ihrem Bauch gelegen, und nirgends hat sie erkennen können , ob es ihre eigenen waren - sie hätte sie zurückgegeben, sie wo ll te keine gestoh lenen Wörter - und sie hat sie zugeschüttet mit häßlichen und mit vernünf- t igen und mit toten. Und B. hat fast dazugehört - B. hat es geschafft - B. ist reifer geworden - B. ist end lich erwachsen geworden. Sie hat jetzt auch schon Antworten geben können, wenn sie gar nicht zugehört hat - und B. hat wenig zugehört , in letz- ter Zeit. Oft sind ihre Antworten sogar lustig gewesen , und das Lachen hat sie schon von den anderen abgeschaut - da war fast kein Unterschied mehr. Aber B. ist müde geworden - es ist jetzt oft ganz leer in ihr, und manchmal fühlt sie, wie ein Stück von ihr abstirbt. Sie nimmt es nur wahr - weh tut es immer erst nachher, wenn sie die Wunde sieht, die zurückbleibt. B. wil l jetzt ausrasten, sie will wieder zuhören , und manchmal spr icht sie noch. Aber B. hat nicht viele Gesprächspartner, denn nicht jeder hört das leise Bitten ihrer Hände, und nicht jeder weiß eine Antwort auf die Tiefe ihrer Augen. 89 ---------------------

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