5. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1977/78

daß die Zahl der funktionierenden Familien, die Geburtenrate sinkt und sinkt und sinkt . . . Wenn diese Entwicklung so weitergeht, schwant mir am Ende Schreckliches: Eine ungeordnete Horde von vereinsamten, vereinzelten Neurotikern, die sich ab und zu verbinden — unverbindlich versteht sich — um sich „frei" zu „lieben". Möglich, daß ich sehr schwarz male, aber damit dieser Alptraum nicht am Ende doch Wirklichkeit wird, muß gegen diese Entwicklung schleunigst etwas unternommen werden. Man müßte die Men schen fähig machen zur Verantwortung, zur Verbindlichkeit, zur Freiheit, man müßte sie dazu erziehen, denn all das muß gelernt werden. Die Familie bietet als Kleingruppe rein psychologisch gesehen ideale Lernbedingungen. Ich würde sie als Schule bezeichnen, als Schule der Mensch lichkeit, jener Menschlichkeit, um die wir ein Leben lang zu kämpfen haben. Menschlichkeit — auch einer dieser abgenützten Begriffe, um deren Bedeutung wir uns keine Gedanken mehr machen. Was ist es, das den Menschen erst zum Menschen macht, was das Kind in der Familie lernen muß, damit es ein brauchbares Mitglied unserer Gesell schaft wird? Das Kind braucht zunächst einmal von Geburt an die Vermittlung der ureigensten menschlidien Gefühle und Fähigkeiten: Geborgenheit, Ver trauen, Freude, Liebe. Ein Kind, das diese Gefühle nie kennengelernt hat, wird sie schwerlich jemandem weitergeben können. Demnach würden diese Gefühle anfangen, in unserer Gesellschaft zu verkümmern und schließlich aufhören zu existieren, wenn die Familie von der Bildfläche verschwände. Und das wäre nicht die einzige Konsequenz. Jegliche Gemeinschaft wäre undenkbar, denn die Familie ist es, wo der Mensdi die soziale Grund schulung erfährt, die für das Funktionieren jeder anderen Gemeinschaft unerläßlich ist. Als wesentlichen Teil der Erziehung zu einem sozialen Wesen sehe ich die Überwindung des tiefverwurzelten Egoismus an. Jedermann hat sicher lich schon erfahren, daß schrankenloser Egoismus jede Art von Gemeinschaft von vornherein zum Sdieitem verurteilt. Ein weiterer Schwerpunkt sollte auf dem Lösen von Konflikten liegen, denn die Unfähigkeit, Konflikte zu lösen, führt in der letzten Konsequenz zur schrecklichsten, unmenschlichsten Ersdieinung: zum Krieg. Friede kann nur verwirklicht werden, wenn wir gelernt haben, Konflikte im kleinen unblutig zu lösen. Achtung entgegenbringen, und zwar jedem Menschen, dem Leben über haupt. Wenn es allen Eltern gelänge, ihren Kindern Achtung, Ehrfurcht vor dem Leben beizubringen, ja dann hätten wir keine Probleme mehr mit Mensdienrechten, Llmweltverschmutzung, Patriachat, Sexualerziehung, Abtrei bung und Altersversorgung. Um zu lernen, was Achtung ist, braucht der Mensch allerdings edite Autoritäten, vorgelebtes Beispiel. Um nur einen Punkt herauszugreifen: Nur wenn wir unsere Eltern einmal bei uns auf nehmen, sie nicht in ein Altersheim stecken oder vereinsamen lassen, nur dann haben wir die berechtigte Hoffnung, daß unsere Kinder mit uns einmal ähnlich verfahren werden. Das Kind muß noch etwas ungeheuer Wichtiges lernen: Mit sich selbst fertig zu werden, Krisen zu bewältigen, noch während es das Gefühl hat, in der Familie fest verankert zu sein, nicht in der Luft zu hängen. Nur auf

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