5. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1977/78

CHRISTIAN WALLNER: HABEN DICHTERLESUNGEN EINEN SINN? Lesung des in Salzburg lebenden Autors am Bundesgymnasium Steyr Mit dieser von ihm selbst gestellten Frage setzte sich Wallner wohl ins Fettnäpfchen. Denn , obgleich er diese Art der Kommunikation als hinter wäldlerisches Medium bezeichnet, deren Aufwand in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht, lieferte er docli den Gegenbeweis für die Berechtigung solcher Veranstaltungen: er kam, las — und überraschte. Zunächst eine Vorbemerkung: Wallner hat in der Mittelschule einen Deutschunterricht konsumiert, der ihm nicht gut bekam. Durch den über mäßigen Genuß von Klassik und Romantik übersättigt, entstand ein extremer Hunger nach Realität, Lebensbezogenheit. („Kabale und Liebe hatte verdammt wenig mit Fußball zu tun"). Aus dieser Haltung heraus erscheint dem Autor alles, was in Richtung Gefühl geht, als suspekt (heißt bei ihm Gefühligkeit), und dementsprechend traf er auch die Auswahl seiner Texte. Schon auf die Bezeichnung „Dichter" reagierte er allergisch, diesen Begriff verbannt er in die klassisdi-romantische Mottenkiste. Er ist Autor und will sich als Mensch wie du und ich verstanden wissen, der seine Brötchen nicht mit Schöne-GedichtSchreiben verdient. Also womit? Als Verfasser von Kritiken, Essays, Repor tagen für Funk und Fernsehen, Kabarett- und Theatertexten, als Herausgeber von Zeitschriften — aber auch als Dichter, das kann er nidit leugnen, siehe „Freund und Feind" (Gedichte und Notate), da ist viel Poetisches dabei, wenn auch herb verpackt. Nun, es muß Herrn Wallner überlassen bleiben, welche Ressentiments er zu überwinden hat, ob er noch dahin kommt, daß Gefühl durchaus mit Realität zu tun hat. Jedenfalls präsentierte er gescheite, brillant-pointierte Essays und war stets darum bemüht, nur den Text sprechen zu lassen, alles Biographische sauber auszuklammern. Überraschend war, daß er auf kritische Einwände von Schülern (sie verlangten, weil von „altmodischen Deutschleh rern angekränkelt", nach dem Dichter im Autor) sehr sensibel und subjektiv reagierte. Im Verlauf einer langen Diskussion, die sich in anregender Weise im Gasthof Hammermeister fortsetzte, gab unser Autor spontan Antwort, ließ bereitwillig Einblick, sperrte sidi also gar nicht gegenüber Gefühlen. Dieser unbeabsichtigte Widerspruch machte ihn sehr sympatisch — ein Dichter wider Willen? Prof. Marlene Krisper HAT DER „DICHTER" AUSGEDIENT? Vor ein paar Tagen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen einer Dichter lesung von Christian Wallner beizuwohnen. Nach dieser Lesung fragte ich mich ernsthaft, ob der Dichter im eigentlichen Sinn nicht mehr „in" sei. Viele moderne Autoren, wie auch Wallner, wehren sich energisch da gegen, Dichter genannt zu werden, und sie versuchen mit allen Mitteln die alte Vorstellung, die man von einem Dichter und seinen Werken hat, zu zerstören. Ich persönlich bin damit keineswegs einverstanden. Gerade in der heu tigen Zeit, wo wir immer mehr mit den Realitäten ides Lebens konfrontiert

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