4. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1976/77

Lieder durch das Abteil gebrüllt. Da wurde mir klar, daß ich in diesem Jahr akzeptieren müsse, wie sie sind, also mutig ,den Sprung ins eiskalte Wasser wagen müssen und nicht nur die Zehe vom Ufer zaghaft hineinhalten ,dürfe . Der Bahnhof von Swall'sea ist alt und - schmutzig, und das einzige Taxi, das vor dem Gebäude stand, hatte eine Reifenpaime. Also nun rasd1 hinein ins kalte Wasser! Ich fragte einen jungen Mann nam •dem Weg zu meinem Quartier. Er packte sofort meinen KoHer und teilte mir in sd1werem walisisd1em Dialekt mit, daß er mich zu meinem Quar tier bringen werde. Es sei nur eine halbe Stunde zu gehen . A:ls er immer schneller wuvde:, sduieb ich sd1on meinen Koffer ab und dachte mir: ,, Du wirst hier wohl ·nod1 eine Menge lernen müssen ". Waliser und Koffer stoppten a'ber zu meiner Über- raschung vor einem hell erleuchteten Haus, das zwar nid1t mein Quartier, so nd ern ein „Pub" , ein britisdies ßi.erbeisel, war. Hier erfuhr im, daß der Mann ein Sta.hla11bei ter war; daher also sein Tempo . Sd10,n an diesem ersten Abend lernte im noch eini ge andere Mensmen kern1en, ,die mim später immer wieder besuchten, w1d ,die durch ihre völlig unenglische Aufgesdilossenheit mithalfen, das Jahr zu einem großen Ereignis für midi zu rnadien. Als im nämlich zehn Monate später nach Steyr zurückkehrte, ging im eine Namt lan•g in reiner Lu[t in meiner sauberen Wohnung m1f und a,b und konnte nicht schlafen . Es ging mir etwas ab - nicht nur -der Sdimutz, ich hatte mich offenbar verliebt - in ein Land. Sdmmtz und Chaos auch in der SdiuiJe, ,der Bishop Gore Sdiool, einer „ Comprehensive School" . Das ist die nun in Groß·brita n.nien meistverhreitete Sd1L11form, eine britische Art von Gesamtsdmle. Die uniformierten Sdiülerirn1en und Schüler liefen und drän.gten in ·den vi-el zu engen Gän.gen. Mit Wehmut dacht,e ich an die Steyrer Hausord.nuJJg un.d ,die sonore Stimme rnanmer Kolle- gen. Aber man weiß sich ja anzupassen. Ich trug meine Tasche nur mehr in der linken Hand und setzte meinen bekannt spitzen Ellbogen der Remten zur Selbstverteidigung ein. Nad1 etwa einer Woche widien die über 2000 Schüler di e.ses Riesengebäudes respektvoll vor dem wehrhaften Österreidier aus. Ein Musterbeispiel für den Siim der Landesverteidigung selhst kleinster Länder. Im ·durfte einige ·der bes ten Schüler in Deutsch unterrichten, zwei davon zur Aufnahmsprüfung in die Uni ve rsität Oxford vor-ber,eiten. Es war herrlich, KHassen von drei bis höchstens zehn , hod1intelligenten Schülern zu h aiben . Obwohl ich in diesem Jahr nicht eine einzige Not e hergeben mußte - die Prüfung am Jahresende war s taatlich - gingen die Sd1üler interessiert mit. Damit im nidit zu sehr verwöhnt würde, li eß man mim auch auif der untersten Stufe der Gesamtschule ,auf Englisch unterrichten. Hier war es wieder schmutzi,g, die Sd1üler waren körperlidi, geistig und seelism deformiert. Wenn ich mich am Anfang zu einem soldien Sdüiler beugen mußte, um ihm etwas zu erklären , ekel te midi , 1111-d mein. Verbrauch an. Seife stieg rapid an. Als idi aud1 noch einen Floh bekam, brach mir der kalte Sdiweiß aus. Ver- gessen waren die sozialkämpferischen Ideale der Studentenzeit, hier ging es ums nackte überl eben. Sehr bald erschienen mir diese Kinder, die mit 14, 15 , kaum lesen und sd1reiben konnten, immer interessa nter. Manche besiegten mich sogar beim Schad1spielen, wir mad1ten Ausflüge, bei ,denen natürlich mit Sicherh eit eine-r in ,den Teich ges toßen wurde und alte Damen ;gesmockt wur- den. Sie erzählten von zu Hause, die Eltern waren zum Großteil a~beitslos, 49

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2