4. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1976/77

Lage, auf der anderen Seite die gesdüd1tliche Entwicklung. Um das leichter verständlich zu 111ad1en , möchte idi Ihnen einige Modellbeispiele bringen. fa sind insgesamt vier Möglichkeiten, die man hier - unter Berücksid1tigung dieser zwei Faktoren - erkennen kann. Stellen Sie sidi bitte eine Stadt vor, die weder eine landsdiaftliche Lage besitzt noch eine historisme Bausubstanz. Sold1e Städte gibt e:". Meist entstanden aus wirtsd1aftlimen Überlegungen, bei Erdölvorkommen oder sonst aus irgendeinem Grund. Solche Städte sind sicher- lich ganz arm daran. Nehmen wir den zweiten Fall: Eine Stadt besitzt wohl eine schöne landschaftliche Lage, aber hat keine historisdie Substanz. Dieser Stadt geht es schon wesentlich besser. Nun kommen wir zur dritten Möglid1- keit: Eine Stadt hat keine sonderliche landschaftlid1e Lage, besitzt aber eine außerordentlich interessante bauliche Substanz. Auch solme Städte gibt es, und diese Städte haben sicher einen gewissen Reiz. Es scheint ihnen aller- dings etwas abzugehen. Die Möglid1keit Nummer vier nun, die idealste: Eine Stadt liegt in wunderbarer landschaftlid1er Lage und hat eine interessante geschichtliche E1ltwicklung aufzuweisen durdi s·ehr schöne Bausubstanz, die sie besitzt. Diese Stadt hat ideale Bedingungen vorgefunden. Eine solche Stadt ist beispielsweise Steyr. Nahezu tausend Jaihre ist die Geschichte der Stadt alt, und die Stadt ist ganz ideal am Zusammenfluß von Enns und Steyr gelegen, treppenartig auf- steigend nach allen Seiten und mit wunderbaren Ausblicken in die Bergwelt. Eine idealere Situation für eine Stadt kann man sich gar nicht vorstellen. Diese einhe-itlid1en Stadtbilder, wie wir sie jetzt kennenlernen, wirken unerhört beglückend, gesdilossen in einer Welt, die überall flexibel geworden ist, man könnte sagen, schon aus den Fugen gerät . Diese Stadtbilder wirken wie Oasen einer noch heilen Welt . Sie sind noch echte Heimat. Hier müssen aber tiefere menschlid1e Bezüge vorliegen. Denn -die Fremdenverkehrswelle überrollt geradezu diese noch intakten, typischen u111d unverwediselbaren Städte. Urlauber flüd1ten aus ihren , ich würde sagen „zersiedelten" Aller- weltstädten in diese Städte voller Geschlossenheit. Warum tun sie das? Es ist, glaube ich, weniger ein Ausdruck der größeren Mobilität des modernen Menschen, als vielmehr eine Folge der Entfremdung. Der Mensdi hat keine Möglichkeit mehr, sid1 mit seiner Umgebung zu identifizieren . Er zieht in die Fremde, um dort - was paradox klingt - wiederum, wenigstens für kurze Zeit, heimisch zu werden. Ein sensibler Mensch fühlt täglid1 in ganz ähnlicher Weise die Situation, wenn er von den Vorstadtgebieten, die mehr oder weniger von einer trostlosen Architektur sind, von einem desorientierenden Verkehrswirrwarr, zurückfindet zu den unverwechselbaren Straßen und Plätzen der Altstadt. Es ist, so geht es mir zumindest, wie ein Gefühl der Befreiung. So, etwas hart ausgedrückt, als wäre man aus einem finsteren Kohlenschad1t ans Tageslicht gekommen. Diese Städte sind nun, trotz aller Geschlossenheit, versdiiedenen Gefahren ausgesetzt. Zum ersten ist eine große Gefahr für eine alte Stadt der Verkehr. Es ist sid1erlid1 unmöglid1, eine alte Stadt verkehr,sgerecht zu machen, sie dem Verkehr zu erschließen. Unwei,gerlich opfert man, wenn man so etwas unternimmt, wichtige bauliche Substanz. Eine zweite Gefahr ist die Anpassung an den sogenannten internationa- len Standard. Supermarkts und Hochhäuser werden zu Symbolen falsd1 ver- 9

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