2. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1974/75

Die F u n k t i o n s g r a 111 111 a t i k bietet sich als die neue Form einer Schul- grammatik an. Sie ist in der öster•reichischen Schule seit 1972 verbindlich. (Siehe Le:hrpläne der AHS, geändert durch Verordnung des BMUK 1972/102. Stück, 324. Vdg ; Erläuterungen zur Lehrplanrevision: Päd1agogisd1e Mitteilun- gen zum Vdgbl. BMUK 1973 / Stück 3) . Die Ansätze zu dieser „netten " Grammatik-zu verstehen a1s „neue Betrachtungsweise der Grammatik" - liegen we'it zurück. Der Gen- fer Linguist Ferdinand de Saussure (Grundfragen der allgemeiJ1en Sprach- wi95enschaft, Paris 1916, Berlin 1931) untersd1eidet zwischen dem S y s t e 111 der Sprache (,, langue "), das - gl e,id1sam ,als strukturdles Regelwerk - jedem Sprachteilhaber innewohnt, un1d der Verwirk 1 !i c h u n g der Sprache in der jeweiligen Spradwerwenching (Rede, ,,parole"). Der „kom- petente Spred1er" trägt dieses System der SpPache in sid1 (No,am Chomsky si eht im Sprecher emer natürlid1en Sprad1e einen „native speaker ") . Die\Ser ,, Kompetenz " steht die „Performanz" gegenüber: Die Außenmgen der Sp11a- che sind jeweils Aktualisierungen des Sprad1systems, einschließlich aller Ab- weichungen und Besonderhe·iten des jeweiligen situationsgebundenen Sprach- gebrauchs. Dazu kommt noch eine weitere Überlegung: Kei11 Wort, kein Satz steht im leeren Raum, sondern ist im Zus,ainmenhang des Textes :z;u sehen. Und diese Gesamtheit des Textes folgt immer einer bestimmten Intention. Karl Bühler unterscheidet 3 G r u n d f a k t o r e n der S p r a c h e : 1. das a utorbezogene Schreiben oder Sprechen 2. das partnerbezogene (oder appellative) Schreiben oder Spred1en 3. das sachbezogene Schreiben oder Sprechen. Hand in Hand mit diesen drei Grundeinstellungen des sprachlichen Verhaltens geht nun jeweils eine besondere „Sprecherstrategie" , und diese „Spred1er- str.ategie" wirkt sich in der beson'deren Gestaltung des Sprachgebrauchs aus , die gra111111.atisd1 zu erfassen ist. Hier ka1rn die Sprad1lehre ,der lebenden, tatsächlich g,eschriebenen Ull'd ge- sprochenen Sprache gered1t werden. U11 1 d eben da,durch, daß sie diie Spradi,e in ihrem Funktioni-eren beobachtet urud beschreibt (,,deskdptive G11ammatik"), sdmlt sie aud1 das Spradwermögen des einzelnen Sprecher,s. Sprache u11:d Sprachstil werden zu bewußter Auswahl zwischen verschiedenen sprachlichen Möglichkeiten . Die Grammatik hat die lsol,ierung von Laut-, Wort-, Fonn- und S,atzlehre, wie sie in der alten Schulgrammatik üblich war, überwunden. Grammatik ist Umgang mit der Sp11achwirkl-ichkeit, und sie geiht a,us von der Gesamtheit des Satzes und des Textes. Sie aktiviert den bewußten eigenen sp nachlichen Einsatz und wird zugleich Hilfe für die Interpretation und die Erfassung -der jeweiligen Redeabsicht des Textes . Hier hat die Grammatik eine ed1te Chance, interessant zu werden. Im Folgenden will id1 versuchen, die Arbeitsweise der neuen Grammatik an Harnd einiger Bei•spiele deutlich zu machen. Sie stellen nid1ts Neues dar, sollen aber doch zeigen, wie die Grammatik im Dienste le,bendiger Sprach- betracht.ung stehen kann. 5

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