2. Jahresbericht des Bundesgymnasiums Steyr 1974/75
zeitweise mö,glich ist, wenn wü das Denken zurückstellen u111d un,s der Unmit- telbarkeit des Fühlens überlassen kon.nten: ,, . . . Jeder räkelt ,sich eine pa,s- sende Mulde im Gestrüpp ~urecht, schiebt den Hut ins Gesicht tl'nd niimmt mit einem letzten Seufzer des Behagens Abschied von. 1 der Welt . Ich liege auf dem Rücken ganz tief im Kräuterwa!,d versunken, um 11ud1 i,st nur das grüne Blattgewirr und gleid1 darüber der Himmel, den halte id1 mit meinen Hätllden ausgespannt. Ma11d1mal baumelt ein Käfer in trunkenen Schwüngen durch ,d,ie Bläue, ei.n p 'a.ar sd1eckige Falter wirbe1n vorbei im ,seligen Tanz der Liebe; und sooft ein Lufthauch von der Schattenseite her üb er die Lich- tung zieht, hebt sid1 der Chor der Bienen ·gewaltig brau,sentl ,aus den Bro111- beerb üsd1en. .A:ber immer ist das Rau,schen der bewegten W,ipfol da , dieser tiefe und satte, dieser so ruhige 11111.d breitströmende Klang ... Hier bin ich tausend Jahre alt und im Wesen nid1t mehr verschieden von der Luft, vom Gras, vom Gestein deT Berg·e .. . " In einem sold1en Genießen des eigenen Körpergefühls und dem folgenden Beinahe-.A:ufgehen in der eigenen urnd der davon 1ucht mehr untersd1iedenen un's umgebenden Natur versinken mit dem Bewußtsein um uns selbst zugleid1 auch die Untevschiede unserer Umwe1t und gehen allmählid1 unter in einen schlafähnlid1en Zusbar]d. Es s-ind 1ucht mehr die nad1 Form Ul]d Aussehen d~utlid1 von einaader getrennten Pfla nzen, di e der Dichter K. H. Waggerl alle mit Namen keimt und an arI'derer Stelle mit viel Li ebe be,schreibt u.n,d sorgfältig bis in alle Einzelheiten nad1zeichnet, sondern ein grünes BJ.attgewirr, ähnlid1 ·dem ein:förmigen Blau des Himmels. Es sind irgendwi e scheckige Falter, ohne daß zum Beispiel die feine fa rbige Zeichnung der Flügel, der Schnitt ihrer Ränder beobachtet wäre, und, nach- dem es der Did1ter dem trunken taumelnden Käfer gleichgemacht, ist es tat- säd1lich wie ein Abschied von der Welt, die uns immer auch über das Denken gegeben ist. Im Grunde steckt diarin sogar eine alte Versuchung des Menschen, seiner schweren Aufgabe müde geworden, auch seiner Bestimmung als einem denkenden Wesen untreu zu weJ1den urnd sid1 ·selbst in Natur hinein aufzu- lösen, was er im Grunde gar nicht wünschen kann, solange er nicht zugleich auch ,d,ie Aufhebung sein,er selbst als P.erso111. wünsd1t. Um zu einem Natur-verständnis zu kommen, das dem denkenden Men- sd1en entspricht und wirklich zu einem Begriff von ,der Natur führen soH, muß der Mensch aus ihr heraus und. ihr gegenühertreten. Sein Versta11d i,s t gefordert, er muß sich Gedanken machen zu dem, was er sieht, er muß lernen, genau n1 beobachten und erinzelne Bezi ehungen an dem Beobachteten dar- zustellen, und er wird ·dankibar au.fnehmen, was die Wissensdiaft von der Natur an solchen Zusammen'hängen schon ihe~ausgearbeitet un 1 d in einer Fülle von Abhandlungen ni edergelegt hat. Wenn es aber darum geht, Natur voll und lw11het •und in unve rkürzter Wahrheit zu erfassen und. ,dafür auch die w,ahre Betrachtungsweise zu finden, dann ist es notwendi g, auch 1 daran zu denken, daß der w;i,ssensdiaftliche Sach- v,erstand immer abstral~t ist, weil die Wissenschaften (tlll'd jede von ihnen in versd1iedenem Maß ) Natur immer nur so weit erfassen, wie dies durch den Filter ihrer arbeitsmethodüd1en Bri1le möglid1 ist. So ist zum Beispiel die Mathematik die abstrakteste Wis-senschaft, denn , lediglich auf Größe (Quantität) und die Beziehungen zwischen Größen abge- stellt, ist sie gegenüber den anderen fagenschaften, die ein Ding zu dem machen, was es ist, gleichgültig, und für hundert Steine wie für hundert 18
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