Amtsärztlicher Inspektionsbericht 1920

mit dem Kranken in Berührung gekommen waren, wurden in ihren Wohnungen unter ärztliche Beobachtung gestellt. Die Notimpfung in der Nähe der Wohnstätte wurde voll¬ zogen. Eine weitere Erkrankung kam nicht zur Beobachtung Malaria trat nur als Rezidive bei Kriegsgefangenen die sämtlich früher an der Front oder während der auf, gefangenschaft infiziert worden waren Krieg Ruhr wurde im Spitale in zwei Fällen, beide im August zwei Mitgliedern der Wehrmacht diagnostiziert. Die be Unsteckungsquelle blieb unbekannt. Beide wohnten in der Artillerielaserne, da weder unter der Wehrmacht noch der Zivilbevölkerung sonstige gleiche Erkrankungen auftraten, st eine Infektion in der Wohnung nicht anzunehmen. Im März une April trat die Grippe in ziemlicher Ausbreitung auf, ohne aber zu solcher Heftigkeit wie 1918 anzuwachsen. Auch diesmal führte diese in 42 Fällen zum Tode; nur jene Sterbefälle gerechnet, in welchem Grippe sei es direkt als Todesursache, oder indirekt als Krankheits¬ ursache von den behandelnden Aerzten angegeben war. Meist handelt es sich um Todesfälle an Lungenentzündungen, nur wenige solche direkt an Grippe oder um Bronchitiden, be¬ ziehungsweise Gehirnhautentzündung. Erst nach fast völligen Verschwinden der Grippe traten einzelne Fälle von „Schlaf¬ krankheit" (Meningiis letargica) auf. Ein strenger Zusammen hang dieser beiden Krankbeiten war nicht erweisbar. In den Fällen, in denen eine Grippe vorausgegangen war, lag immer ein Zeitraum von einigen Wochen zwischen diesem Leiden und den ersten Erscheinungen der Gehirnerkrankung Die zwei aus Steyr selbst stammenden Fälle endeten beide tödlich. Ein Zusammenhang dieser beiden war aber nicht zu erweisen. Auch bei der diesjährigen Gripoeepidemie wurden mit Vorliebe junge kräftige Personen erfaßt. Ein Ueberstehen bei den früheren Auftreten sicherte nicht vor Neuerkrankung Typhus zeigte neuerlich eine ziemlich bedeutende Zu¬ nahme. Bis zum August kamen nur vereinzelnte Fälle von icheren Typhus zur Beobachtung, die keinerlei gemeinsame Infektionsquelle erschließen ließen. Im September wurden mehrere Verdachtsfälle angezeigt, bei welchen der weitere Verlauf die Diagnose nicht stützte. Erst mit Ende Oktober wurden dann gehäufte Erkrankungen sichergestellt und zeigte es sich, daß diese von mindestens zwei Infektionsquellen ausgehen mußten. Eine davon war der verunreinigte Brunnen bei den Baracken am Wehrgraben. Die andere mußte in dem Rayon der neuen Waffenfabrik gesucht werden; ein direkter Nachweis derselben ist aber im Berichtsjahre nicht gelungen. Die Verunreinigung des ersterwähnten Brunnens führte, nachdem die bloße Reinigung nicht zum Ziele führte, ur völligen Sverrung desselben. Dieselbe konnte bis zum Zeitpunkte der Berichterstattung noch nicht aufgehoben werden da bei den wiederholten bakteriologischen Wasseruntersuchungen nie Colibakterien in den Proben nachweisbar waren. Diese Evidemie nahm im Jahre 1921 bald ab, während die andere Infektionsquelle weiterhin neue Erkrankungen herbeiführte Auch diese Typhusepidemie zeigte wieder, wie dringend die zentrale Kanalisierung und die Erbauungeiner Wasserleitungsei Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wurde ein Ambulatorium errichtet, das Herr Dr. Ehrenberger zweimal wöchentlich in seiner Privatordination abhält. Ueber den Besuch desselben hat der Genannte direkt an die Landes¬ regierung zu berichten. Die Bemühungen, eine Fürsorgestelle für Tuberkulose zu schaffen, führten im Berichtsjahre zu keinem Erfolg. Anfänglich wollte die Frauenortsgruppe vom Roten Kreuz diese errichten Aus Gründen, deren Behebung der Gemeinde nicht möglich war, wurde dieses Projekt wieder fallen gelassen. Die Gemeindevorstehung nahm dann in Aussicht, dieses Wohlfahrtsinstitut selbst zu schaffen und hat auch Schritte unternommen, um eine Subvention von Seite der Zentral¬ regierung zu erhalten. Dieses Gesuch war aber bis zum Schlusse des Berichtsjahres noch nicht erledigt worden. Selbst ür die Gesamtkosten aufzukommen, hätte die Finanzkraf der Gemeinde weit überschritten. Es mußte daher die Aus¬ führung auch diesmal verschoben werden Die tuberkulös gefährdeten Kinder wurden wie im Vorjahre im sogenannten Werndlpark zum Teil für den Tag in günstige hygienische Umgebung gebracht. Bei vielen Kindern zeigte sich ein sehr guter Erfog, da bedeutende Gewichtszunahmen festgestellt werden konnten und das Aus¬ sehen derselben zum Teil überraschend gebessert wurde. 9. Beerdigungen Bauliche Veränderungen wurden am hiesigen Friedhofe nicht vorgenommen. Die amtsärztliche Tätigkeit im Bezuge auf Beerdigungen wurde nur gelegentlich von Leichenüber¬ ährungen oder von Exhumierungen in Anspruch genommen 10. Gemeindesanitätsdienst Zur Besorgung des ärztlichen Dienstes beim neu¬ errichteten Städtischen Jugendamte wurde von Seite der Gemeindevorstehung ein eigener Arzt angestellt, dem zugleic die schulärztlichen Agenden an den städtischen Volks= und Burgerschulen zugewiesen wurden. Hiedurch wurde eine geringe Entlastung der älteren städtischen Aerzte herbeigeführt die aber beim Physikus durch sonstige Zunahme seiner amt¬ lichen Aufgaben aufgewogen wird. Letzterer erhielt hiefür aufgetragen, alle für das Arbeits¬ osenamt nötigen Untersuchungen vorzunehmen und zwar für den ganzen Sprengel desselben, das heißt auch für die ingrenzenden Landgemeinden. Außerdem fungiert er als Amtsarzt für das Invaliden¬ für den Gerichtsbezirk Steyr amt n mehreren Fällen erwies sich die Vornahme von sanitätspolizeilichen Obduktionen zur Sicherstellung der Todesursache bei plötzlichem Tode als notwendig. Infektions¬ krankheiten konnten hiebei niemals festgestellt werden. Bei Verdacht auf Geistesstörung war einigemale die Intervention des Amtsarztes zwecks Abgabe in ein Spital oder in ein Irrenanstalt erforderlich. Der Amtsarzt wurde auch zu zahl¬ eichen baubehördlichen Kommissionen herangezogen, um die sanitären Verhältnisse zu berücksichtigen. Handhabung der Lebensmittelpolizei 11. Der Markt in Steyr war auch im Berichtsjahre von en Produzenten immer nur schwach beschickt, so daß auch wie früher die Verbraucher gezwungen waren, direkt zum Erzeuger zu wandern, um dort ihren Bedarf zu decken. Eine Ausnahme machten nur Schwämme, die ziemlich reichlich eilgeboten wurden. Da von der Sicherheitswache, der auch die Marktpolizei obliegt, niemand sveziell in der Schwamm¬ unde ausgebildet ist, hat das Physikat angeregt, daß einem Mitglied derselben die Möglichkeit geboten werden solle, an einem Kurse teilzunehmen, wo diese Kenntnis erlangt werden ann. Wenn auch auf die Einhaltung des Verbotes, zer¬ chnittene Schwämme zu verkaufen, strenge gesehen wird, ist dadurch doch keine Sicherheit gegeben, daß nicht giftige zum Markte gebracht werden. In einem Falle erkrankten zum Beispiel in einer Familie nach einem Schwämmegericht fünf Personen unter Vergiftungserscheinungen und konnte vom behandelnden Arzte festgestellt werden, daß Knollenblütlerpilzvergiftung orlag. Der Pilz war nach Angabe am Markte gekauft worden. die eingeleiteten Nachforschungen nach dem Verkäufer blieben rfolglos. In einem Geschäfte wurde über erstattete Anzeige von Seite der Sicherheitswache eine Kontrolle vorgenommen, vobei mehrfache, verdorbene Lebensmittel konfisziert und dem Gerichte zur weiteren Amtshandlung übergeben wurden Milch wird von den Produzenten in der Umgebung nicht mehr zum freien Verkanfe in die Stadt gebracht. Die ganze zugelieferte Menge wird den Milchausgabestellen zu¬ ewiesen und dort an die Bezugsberechtigten abgegeben. Die Notwendigkeit, die Milch am Lande zu sammeln und dann erst zur Stadt zu führen, bewirkt aber während der warmen Jahreszeit oft, daß nur für die kleinsten Kinder süße Milch abgegeben werden kann, während die anderen Parteien nur bereitsim Sauerwerden begriffene Milch zugeteilt erhalten können Das Brot, dessen Qualität im allgemeinen nicht gelobt verden kann, wurde niemals als verdorben oder gänzlich ungenießbar dem Physikate übergeben Vom feilgebotenen Obste mußten 37 Kilogramm als verdorben und zum Genusse nicht mehr zulässig konfisziert und der Vernichtung zugeführt werden. 12. Sanitätspersonale. Neu niedergelassen hat sich in Steyr Herr Dr. Franz Pimiskern, Fürsorgearzt der Stadtgemeinde. Todesfälle oder onstige Uebersiedlungen von Aerzten fanden nicht statt Hebamme hat sich keine in Steyr neu angemeldet. Die Hebamme Schramml hat ihre Praxis im Oktober zurück¬ gelegt. Gegen mehrere Hebammen wurde vom Kreisgericht die Untersuchung wegen Abtreibung der Leibesfrucht ein¬ eleitet. Im Berichtsjahre wurde diese in keinem Falle ab¬ eschlossen. Es konnte daher gegen die Beschuldigten bisher noch nicht eingeschritten werden Die Hauskrankenpflege erfuhr keine Aenderung. Sie ällt stets den Familienangehörigen zu, da die Zuziehung von Berufspflegerinnen der damit verbundenen Kosten wegen tur in höchst seltenen Ausnahmsfällen möglich wäre und die Zahl der Ordensschwestern, die hiefür zur Verfügung stehen, viel zu gering ist. 13. Oeffentliche und Hausapotheken zur Errichtung der geplanten vierten Apotheke ist es isher nicht gekommen. Im Standort, Besitz und Leitung der bestehenden Apotheken traten keine Veränderungen ein. Die jährliche Apothekenrevision wurde vom Stadtphysikus vorgenommen; vom Apothekergremium war trotz vorheriger Verständigung kein Vertreter erschienen. Uebelstände konnten dabei nicht festgestellt werden. Die Apotheker gaben zu, daß wohl die Beschaffung der Arzneistoffe erleichtert sei, klagten aber, daß der Absatz durch die hohen Kosten beeinträchtigt werde. 14. Allgemeine hygienische und sanitäts¬ polizeiliche Verhältnisse. Die allgemeinen hygienischen Verhältnisse zeigten nur eine geringe Besserung gegen das Vorjahr. Besonders die Ernährungsbedingungen waren anhaltend noch nicht der Norm entsprechend, wenngleich zugegeben werden muß, daß eine geringe Besserung in derselben eingetreten ist. Trotz lledem muß es begrüßt werden, daß das Ausland, speziell Amerika, seine Bemühungen den Kriegsfolgen entgegen¬ uwirken, unermüdlich fortsetzte. Die verschiedenen Hilfs¬ aktionen tragen nachweislich bedeutend dazu bei, besonders

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