Amtsärztlicher Inspektionsbericht 1920

Amtsärztlicher Inspektionsbericht für das Jahr 1920. In der Gemeinderats=Sitzung vom 30. Mai 1921 erstattete Bürgermeister Wokral folgenden Bericht: 1. Allgemeine und lokale hygienische Verhältnisse. Die Bemühungen des Magistrates in der Frage einer zentralen Wasserversorgung wurden im Berichtsjahre fort¬ gesetzt. Da die bis zum Jahre 1919 ausgeführten Messungen an Quellen im Gebirge ergeben hatten, daß dort nirgends genügende Wassermengen in einer solchen Nähe der Stadt vorhanden seien, um den Bau einer Leitung rationell er¬ scheinen zu lassen, wurde das Projekt, das nötige Wasser im Stadtgebiete selbst zu gewinnen, weiterverfolgt. Ueber dieses Projekt ist bereits im Berichte über 1919 kurz berichtet worden. Der Koburgbrunnen wurde wiederholt auf seine Ergiebigkeit untersucht und diese dauernd mit mindestens dreißig Sekundenliter gefunden. Die wiederholte chemische und bakteriologische Untersuchung des daraus geschöpften Wassers ergab immer einen günstigen Besund. Kontroll¬ untersuchungen mit Proben aus dem nahe gelegenen Arm der Steyr ergaben keinen Anhaltspunkt, daß das Grund¬ wasser durch das Steyrwasser verunreinigt werde. Ein Zu¬ sammenhang zwischen den beiden war nie nachweisbar, sodaß kein Grund zur Annahme besteht, daß das Brunnen¬ wasser zeitweise seine gute Beschaffenheit verlieren sollte. Das Physikat kann aber nicht umhin, darauf hinzu¬ weisen, daß die Lage des geplanten Schöpfwerkes mitten unter den Häusern eine derartige ist, daß Bedenken nicht abgewiesen werden können. Wenn auch die bisherigen Wasseruntersuchungen be¬ friedigend ausgefallen sind, ist doch zu berücksichtigen, daß bisher die Ausnützung des Koburgbrunnens eine nicht intensive gewesen ist, sodaß auch eine Aenderung des Grund¬ wasserspiegels hiedurch kaum bewirkt worden sein wird. Würde der Brunnen aber anhaltend stark in Anspruch ge¬ nommen, könnte eine solche die Folae sein und könnten dann aus anderen Bodenlagen Wasserzuflüsse hervorkommen, die nicht von gleich guter Beschaffenheit sind. Außerdem ist das deckende Erdreich, soweit es von außen erkennbar ist, das hier so häufig vorkommende Konglomeratgestein, das er¬ fahrungsgemäß von zahlreichen Rissen und Sprüngen durch¬ setzt ist, welche auch das Eindringen von Verunreinigungen von der Erdoberfläche in das Grundwasser ermöglichen. Es müßte daher in beträchtlichem Umkreis um das derzeit geplante Schöpfwerk ein Schutzrayon geschaffen werden, in welchem jede mögliche Verunreinigung durch Dünger, Jauche und ähnliche Stoffe strenge hintanzuhalten wäre. Nun sind aber die dabei in Betracht kommenden Flächen zum größten Teile intensiv als Gemüsegärten benützt. Sie müßten daher ihrer jetzigen Verwendung entzogen werden. Im Februar 1920 fand eine kommissionelle Besichtigung des Koburgbrunnens statt, an der Herr Sanitätsinspektor Hofrat Veitl und Herr Dozent Dr. Schopper teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit wurde wohl von keiner Seite ein direkter Einspruch gegen die Wahl dieser Pumpstelle vor¬ gebracht. Herr Sanitätsinspektor hat aber anläßlich einer neuerlich in einem späteren Zeitpunkte vorgenommenen Be¬ sichtigung seine Ansicht dahin ausgedrückt, er könne sich für die projektierte Anlage nicht erwärmen und würde es aus sanitären Gründen vorziehen, wenn das Wasser aus einem nicht innerhalb des verbauten Terraius liegenden Brunnens gepumpt würde. Behufs Feststellung des das Grundwasser beim besagten Brunnen überlagernden Erdreiches sind Bohrversuche geplant. An dem Projekt für das Wasserwerk arbeitet die Firma Rumpel aus Wien, die den Plan in großen Zügen bereits fertiggestellt hat. Im Westen der Stadt soll nächst dem Ratzingergute ein Hochbehälter mit 25.000 Kubikmeter Inhalt erbaut werden; auch an der östlichen Stadtarenze oberhalb der Ennsleiten soll ein solcher mit 15.000 Kubikmeter Wasser errichtet werden. Ein Rohrstrang von 300 bis 350 Millimeter Lichtweite soll die beiden Hochbehälter verbinden. Die Durchführung einer einheitlichen Kanalisation ist von der Schaffung der Trinkwasserleitung nicht zu trennen. Bei den enormen Kosten, die eine solche Arbeit jetzt bedingen, kann aber momentan an diese nicht herangetreten werden. Es werden derzeit Detailpläne für die Entwässerung einzelner Straßenzüge ausgearbeitet. In erster Linie werden hiebei jene berücksichtigt, wo die Entwässerung ganz besonders mangelhaft war (Aichet) oder wo der bestehende Kanal bau¬ fällig ist und einer Neuherstellung bedarf (Pfarrgasse). Die Ausführung dieser Kanäle ist für die nächste Zeit in Aussicht genommen. An die Müllabfuhr wurden die Arbeiterwohnhäuser auf der Ennsleite angeschlossen. Hinsichtlich der Straßenreinigung kamen keine Aenderungen vor. Eine Vergrößerung erfuhr das Stadtgebiet im Berichts¬ jahre nicht. Die allgemeinen gesundheitlichen Veränderungen waren 1920 nicht als ungünstig zu bezeichnen. Infektions¬ krankheiten traten nicht in epidemischer Form auf; nur Typhus macht davon eine Ausnahme, nachdem im letzten Quartale eine kleine Evidemie dieser Krankheit in den Baracken in der Wehrgrabenstraße ihren Anfang nahm. Die Lebensmittelversorgung war anhaltend eine nicht dem Bedarf genügende. Besonders der anhaltende Mangel an Milch und Eiern sowie an Fett machte sich sehr bemerkbar. Die im Bericht über 1919 erwähnte Milchzentralisierung wurde durchgeführt, brachte aber nicht den erhofften Erfolg. Die Landwirte aus der Umgebung liefern immer nur wenig in die Stadt, sodaß an manchen Tagen nicht einmal an sämtliche Kranke und die Kinder Milch zur Abgabe gelangen konnte. Größere Kinder sowie gesunde Erwachsene können auf eine regelmäßige Belieferung mit Milch überhaupt nicht rechnen. Auch die Anlieferung von Schlachtvieh entsprach keines¬ wegs dem Bedarfe; dabei kamen vielfach nur minderwertige Rinder zur Ablieferung. Erst in den letzten Monaten wurde manchmal als sogenannten Exkontingentfleisch besseres zum Verkaufe gebracht. Für die Landwirte ist es erträglicher, das Vieh über die nahe Grenze nach Niederösterreich zu beingen, wo höhere Preise zu erreichen sind, als bei der vorschrifts¬ mäßigen Ablieferung in Oberösterreich. Auch Butter kam in kaum erwähnenswerten Mengen zur Ausgabe und mußte entweder durch das teuere Schweine¬ fett oder durch Oel oder Kunstfett ersetzt werden. Gemüse und andere Bodenprodukte wurden am Markte von den Landwirten fast gar nicht, von den einzelnen Händlern nur in ungenügender Menge feilgeboten. Es war daher die Bevölkerung darauf angewiesen, sich diese Nahrungsmitteln bei den Produzenten zu holen. Die im allgemeinen einseitige und unrationelle Ernährung bewirkte das Auftreten zahlreicher nicht infektiöser Magen= und Darmkrankheiten. Besonders scheinen Magengeschwüre an Zahl zugenommen zu haben. Wenigstens nach den Zeugnissen, die Kranken zur Erlangung von weißem Krankenbrot von den behandelnden Aerzten ausgestellt wurden, ist eine tat¬ sächliche Zunahme anzunehmen. Auch nach den Erfahrungen des hiesigen öffentlichen Krankenhauses ist dies anzunehmen. Vielleicht kann diese Erscheinung darauf zurückgeführt werden, daß der Verdauungstrakt durch das schlechte Brot anhaltend mechanischen Beschädigungen ausgesetzt ist und daß dadurch bedingte wiederholte oberflächliche Verletzungen nicht mehr glatt heilen. Die Klagen über schlechte Bekömm¬ lichkeit des Brotes aus allen Bevölkerungsschichten hielten ja stets an. Sie scheinen auch begründet. Die so starke Aus¬ mahlung des Getreides bewirkt ja einen hohen Gehalt des Mehles an Kleie und Spelzen und anderen nur schwer ver¬ daulichen Bestandteilen. 2. Bau= und Wohnungshygiene. Eine wirksame Bekämpfung der Wohnungsnot war nicht durchführbar. Mit großen Kosten wurden von Seite der Gemeinde auf der Ennsleiten die bereits früheren Bauten fortgeführt, sodaß zwölf Objekte fertiggestellt werden konnten, die sämtliche an die von früher bestehende Wasserleitung auf der Ennsleite angeschlossen sind. Die in diesen Häusern geschaffenen Wohnungen bestehen fast durchgehends aus Zimmer, Küche und Kabinett und entsprechen allen modernen hygienischen Anforderungen.

Von Seite der österreichischen Waffenfabrik wurden die früheren Objekte 5, 6, 7 und 14 zu Wohnräumen umgebaut, ebenso die ehemalige Schießstätte. Auch hiedurch wurde eine größere Zahl von kleinen Wohnungen geschaffen. Wenn auch ein Teil dieser Gebäude im Ueberschwemmungsgebiete der Steyr gelegen ist, konnte doch vom Physikat gegen diese Umgestaltung kein Einwand erhoben werden Diese Lage hindert wohl die Errichtung von Kellern; onst sind aber die Wohnungen den Anforderungen ent¬ sprechend. Auf die Beschaffung genügenden und guten Wassers wurde stets großer Wert gelegt. Alle Brunnen, welche für diesen Zweck herangezogen wurden, wurden einer chemischen und einer bakteriologischen Untersuchung unterzogen, die in allen Fällen eine tadellose Beschaffenheit des Wassers ergab Infektiöse Erkrankungen, deren Quelle in einer Wohnung gesucht werden müßte, sind bisher nicht zur Kenntnis gekommen Auch die Firma Werndl in Unterhimmel, Gemeinde Garsten, adaptierte ein ihr gehöriges früheres Werksgebäude n der Schleifergasse zu Wohnzwecken. An sonstigen Neubauten wurden vier ausgeführt, durch¬ wegs kleine Herstellungen. Von Adaptierungen, die einer Genehmigung durch die Baubehörde bedurften, kamen zwölf zur Ausführung. In der Hauptsache waren dies Bauführungen für Wirtschafts¬ zwecke und solche, welche wegen schadhaften Bauzustandes unvermeidlich waren Die Auflassung der verschiedenen Baracken auf der Ennsleite und am Wehrgraben, deren schlechte Beschaffenheit von sämtlichen daran interessierten Faktoren anerkannt wird erwies sich leider als unmöglich, da den Bewohnern keinerlei andere Unterkunft hätte zugewiesen werden können Die Arbeiten bei der Autofabrik wurden beendet. Die Arbeiten an den Straßen auf der Ennsleite wurden programm¬ mäßig fortgesetzt 3. Sanitäre Verhältnisse der gewerblichen Betriebe. Größere Adavtierungen oder sonstige Umgestaltungen kamen in keinem Betriebe zur Durchführung, noch weniger wurden neue solche errichtet. Die Arbeitsverhältnisse in den bestehenden Betrieben waren unverändert. Die Arbeitstätigkeit tets eine zufriedenstellende. Speziell in der Autofabrik war die Beschäftigung anhaltend eine volle. Die erzeugten Fahr¬ zeuge wurden fast sämtlich: an das Ausland geliefert. erufs= und Gewerbekrankheiten kamen nicht zur Kenntnis des Physikates. Mit dem Aufhören der Waffen¬ erzeugung haben auch die Ekzeme, an welche manche mit der Brünierung der Läufe beschäftigte Arbeiter früher vielfach litten, abgenommen 4. Sanitäre Verhältnisse in Erziehungs¬ und Unterrichtsanstalten. Mit Ausnahme der Fachschule für Eisen= und Stahl¬ earbeitung fanden in den Schulen keinerlei bauliche Ver¬ änderungen statt. Für die genannte Schule wurde die früher Jägerkaserne adaptiert. Die Herstellung der Räumlichkeiten für den theoretischen Unterricht war nicht mit besonderen Schwierigkeiten verbunden und konnte im Berichtsjahre beendet werden. Für die Arbeitsräume, die dem praktischen Unterrichte dienen, waren aber bedeutende Umgestaltungen nötig. Im Berichtsjahre konnte nur der theoretische Unterrich in den neuen Lokalen ausgenommen werden, während der praktische noch in den alten Räumen erteilt werden mußte. Die Fachschule wurde auch durch die Angliederung eines Kurses für Gravieren erweitert. Außerdem wurde im Schul¬ jahre 1919/20 vom Stadtphysikus an derselben ein Kurs über ärztliche Hilfe bei Verletzungen und anderen Zufällen ab¬ jehalten, woran auch die Zöglinge des letzten Jahrganges teilnahmen. An den übrigen Schulen kamen keinerlei Veränderungen vor. Der schulärztliche Dienst an den städtischen Volks= und Bürgerschulen wurde dem von Seite der Gemeindevoestehung neuangestellten Fürsorgearzt Dr. A. Pimiskern zugewiesen. Der¬ elbe hat nunmehr veriodisch sämtliche Schulkinder zu unter¬ uchen. Durch die Anberaumung von Sprechstunden seitens des genannten Fürsorge= und Schularztes für die Eltern der Schulkinder wird angestrebt, auch auf diese einzuwirken und hnen mit Ratschlägen bei körperlichen Gebrechen oder ähn ichen der Schulkinder beizustehen. Eine ärztliche Behandlung kranker Schulkinder obliegt dem Schularzte als solchen nicht Infektiöse Erkrankungen in den Schulgebäuden kamen nicht zur Kenntnis des Physikates. Eine solche in der Familie eines Lehrers führte zu dessen temporer Ausschließung aus der Schule. Unter den Schulkindern traten anzeigepflichtige infektiöse Erkrankungen nur in geringer Zahl auf, sodaß eine Unterbrechung des Unterrichtes durch die Schließung einer Schule oder einzelner Klassen nie erforderlich war 5. Humanitätsanstalten. Bauliche Veränderungen in den Armen= und Ver¬ sorgungshäusern kamen im Berichtsjahre keine zur Durch¬ ührung. Ebenso wurde in der Art der Armenversorgung keine Aenderung vorgenommen. Eine Intervention des Physikates baulicher Gebrechen oder sanitärer Verhältnisse wegen wurde nicht nötig Die im Vorjahre durchgeführten Reparaturen an der maschinellen Beheizungsanlage im Städtischen Krankenhause rmöglichten eine Weiterführung dieses Betriebes. Der Mangel an Brennmaterial machte sich aber zeitweise bemerkbar, so aß es in der kalten Jahreszeit nur schwer möglich war, die eizanlage zur Gänze auszunützen Bauliche Veränderungen wurden nicht vorgenommen. Von der Errichtung eines Isolierpavillons mußte auch im Berichtsjahre der Kosten wegen abgesehen werden; dieser Plan wird aber stets im Auge behalten und bei geänderten Verhältnissen sofort zur Durchführung gelangen. Die der¬ zeitige Unterbringung Infektionskranker im alten St. Anna¬ Spital kann ja nur als Provisorium angesehen werden bis zu jenem Zeitpunkte, in welchem ein Neubau eine klaglose solierung gestattet. Die Ueberwachung von Rekonvaleszenten oder zu Beobachtenden ist eine sehr schwere, da in den eigent¬ ichen Isolierräumen nicht eine eigene Abortanlage vorhanden ist und der den bereits gebesserten Kranken zur Verfügung stehende Raum im Spitalshofe eine Abschließung nicht zuläßt Die kleine Typhusepidemie im letzten Winter hat auch gezeigt, daß einzelne Personen ohne Rücksicht auf die andere Bevölkerung nur die eigenen Wünsche zu befriedigen trachten So hat ein Mann, der wegen Thyphusverdacht dem Svitale überwiesen worden war, dieses eigenmächtig für eine Nacht verlassen der ärztliche Dienst wurde von den gleichen Herren wie im Vorjahre versehen. Durch den ärztlichen Betrieb des Spitales ergab sich kein Anlaß zu einer Intervention seitens hysikates des Unter den Bewohnern der städtischen Armen= und Ver¬ orgungshäuser wurden Infektionskrankheiten nicht festgesetzt. 6. Sanitäre Verhältnisse in Gefängnissen, Arresten, Besserungsanstalten und Naturalverpflegsstationen. An den Gebäuden, welche den angeführten Zwecken dienen, wurden keine baulichen Veränderungen vorgenommen. Der ärztliche Dienst wurde in der gleichen Weise wie in früheren Jahren besorgt. In das gerichtliche Gefangenhaus wurde von Seite des Bezirksgerichtes Enns ein Mann als Untersuchungshäftling eingeliefert, der dort Ruhr verdächtige escheinungen geboten haben soll. Derselbe wurde, als dies bekannt wurde, unter Beobachtung gestellt, in einer separaten elle isoliert, auch die Mithäftlinge, mit welchen er anfänglich n einer Zelle war, wurden ärztlich beobachtet, boten aber Die klinischen Er¬ niemals Zeichen einer Erkrankung cheinungen bei den Verdächtigen konnten Ruhrverdacht nicht ützen, ebenso war in den Stuhlproben kein positives Resultat zu erzielen. Andere infektiöse Erkrankungen kamen in den ezeichneten Anstalten nicht zur Beobachtung. Tuberkulöse Häftlinge wurden nach Möglichkeit isoliert oder der Spitals¬ flege zugeführt. Eine Intervention des Amtsarztes wurde von keiner Seite in Anspruch genommen 7. Ueberwachung der Unterbringung und Pflege der Bresthaften. Die Art der Unterbringung jener Armen und Brest¬ haften, für welche die Gemeinde sorgen muß, blieb unver¬ ändert. Das Armenversorgungshaus ist stets voll belegt. Es rägt dazu bei, daß derzeit ältere Personen, die nicht mehr voll erwerbsfähig sind und von keiner Seite eine Unterstützung genießen, mit den von ihnen früher ersparten Geldern nicht mehr das Auslangen finden können und daher es öfters vorziehen, sich in das städtische Versorgungshaus einzukaufen, um sich für ihre letzten Lebensjahre wenigstens vor der ärgsten Not zu sichern Die Betreuung der Armenhauspflege obliegt Ordens¬ schwestern, die diesen mühevollen Beruf mit gewohntem Eifer nachkommen. Gerade die geistig minderwertigen Pfleglinge erfordern eine sorgfältige Ueberwachung, um nicht entweder sich selbst oder anderen Personen oder Dingen Schaden zuzufügen Die steigende Teuerung machte eine entsprechende Er¬ höhung der seitens der Gemeinde an erwerbsunfähige Arme u leistenden Unterstützungen unvermeidlich. Doch wird eine ede solche Erhöhung durch immer neue Preissteigerungen ofort ausgeglichen. Die nicht der Gemeinde zufallenden Bresthaften werden von ihren Angehörigen verpflegt und betreut. Kein Fall von Vernachlässigung solcher Kranken kam zur Kenntnis des Physikates. Ebenso war dessen Einschreiten in den städtischen Armenhäusern erforderlich. 8. Vorkehrungen gegen Infektions¬ krankheiten. Zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten erwies sich die Handhabung der diesbezüglichen Vorschriften als völlig ausreichend. Ungeklärt blieb die Infektionsquelle eines Falles von echten Blattern. Diese Krankheit wurde am 30. Mai 1921 dort bei dem fabriksbekannten Ludwig Götzenfried festgestellt. Derselbe war 13 Tage vorher für einen Tag nach Linz ge¬ fahren, sonst nach seiner Angabe nie in Steyr oder der nächsten Umgebung abwesend. Er gab an, nicht zu wissen auf der Bahnfahrt oder in Linz mit einem Blatternkranken oder Verdächtigen zusammengekommen zu sein. Der Erkrankte wurde in der Expectanzbaracke mit einer Wärterin isoliert. Die Mutter die mit ihm im gemeinsamen Haushalte lebte für die Inkubationsfrist dem Spitale zur Beobachtung zu¬ geführt. Alle Personen, die außer dem Spital nachweislich

mit dem Kranken in Berührung gekommen waren, wurden in ihren Wohnungen unter ärztliche Beobachtung gestellt. Die Notimpfung in der Nähe der Wohnstätte wurde voll¬ zogen. Eine weitere Erkrankung kam nicht zur Beobachtung Malaria trat nur als Rezidive bei Kriegsgefangenen die sämtlich früher an der Front oder während der auf, gefangenschaft infiziert worden waren Krieg Ruhr wurde im Spitale in zwei Fällen, beide im August zwei Mitgliedern der Wehrmacht diagnostiziert. Die be Unsteckungsquelle blieb unbekannt. Beide wohnten in der Artillerielaserne, da weder unter der Wehrmacht noch der Zivilbevölkerung sonstige gleiche Erkrankungen auftraten, st eine Infektion in der Wohnung nicht anzunehmen. Im März une April trat die Grippe in ziemlicher Ausbreitung auf, ohne aber zu solcher Heftigkeit wie 1918 anzuwachsen. Auch diesmal führte diese in 42 Fällen zum Tode; nur jene Sterbefälle gerechnet, in welchem Grippe sei es direkt als Todesursache, oder indirekt als Krankheits¬ ursache von den behandelnden Aerzten angegeben war. Meist handelt es sich um Todesfälle an Lungenentzündungen, nur wenige solche direkt an Grippe oder um Bronchitiden, be¬ ziehungsweise Gehirnhautentzündung. Erst nach fast völligen Verschwinden der Grippe traten einzelne Fälle von „Schlaf¬ krankheit" (Meningiis letargica) auf. Ein strenger Zusammen hang dieser beiden Krankbeiten war nicht erweisbar. In den Fällen, in denen eine Grippe vorausgegangen war, lag immer ein Zeitraum von einigen Wochen zwischen diesem Leiden und den ersten Erscheinungen der Gehirnerkrankung Die zwei aus Steyr selbst stammenden Fälle endeten beide tödlich. Ein Zusammenhang dieser beiden war aber nicht zu erweisen. Auch bei der diesjährigen Gripoeepidemie wurden mit Vorliebe junge kräftige Personen erfaßt. Ein Ueberstehen bei den früheren Auftreten sicherte nicht vor Neuerkrankung Typhus zeigte neuerlich eine ziemlich bedeutende Zu¬ nahme. Bis zum August kamen nur vereinzelnte Fälle von icheren Typhus zur Beobachtung, die keinerlei gemeinsame Infektionsquelle erschließen ließen. Im September wurden mehrere Verdachtsfälle angezeigt, bei welchen der weitere Verlauf die Diagnose nicht stützte. Erst mit Ende Oktober wurden dann gehäufte Erkrankungen sichergestellt und zeigte es sich, daß diese von mindestens zwei Infektionsquellen ausgehen mußten. Eine davon war der verunreinigte Brunnen bei den Baracken am Wehrgraben. Die andere mußte in dem Rayon der neuen Waffenfabrik gesucht werden; ein direkter Nachweis derselben ist aber im Berichtsjahre nicht gelungen. Die Verunreinigung des ersterwähnten Brunnens führte, nachdem die bloße Reinigung nicht zum Ziele führte, ur völligen Sverrung desselben. Dieselbe konnte bis zum Zeitpunkte der Berichterstattung noch nicht aufgehoben werden da bei den wiederholten bakteriologischen Wasseruntersuchungen nie Colibakterien in den Proben nachweisbar waren. Diese Evidemie nahm im Jahre 1921 bald ab, während die andere Infektionsquelle weiterhin neue Erkrankungen herbeiführte Auch diese Typhusepidemie zeigte wieder, wie dringend die zentrale Kanalisierung und die Erbauungeiner Wasserleitungsei Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wurde ein Ambulatorium errichtet, das Herr Dr. Ehrenberger zweimal wöchentlich in seiner Privatordination abhält. Ueber den Besuch desselben hat der Genannte direkt an die Landes¬ regierung zu berichten. Die Bemühungen, eine Fürsorgestelle für Tuberkulose zu schaffen, führten im Berichtsjahre zu keinem Erfolg. Anfänglich wollte die Frauenortsgruppe vom Roten Kreuz diese errichten Aus Gründen, deren Behebung der Gemeinde nicht möglich war, wurde dieses Projekt wieder fallen gelassen. Die Gemeindevorstehung nahm dann in Aussicht, dieses Wohlfahrtsinstitut selbst zu schaffen und hat auch Schritte unternommen, um eine Subvention von Seite der Zentral¬ regierung zu erhalten. Dieses Gesuch war aber bis zum Schlusse des Berichtsjahres noch nicht erledigt worden. Selbst ür die Gesamtkosten aufzukommen, hätte die Finanzkraf der Gemeinde weit überschritten. Es mußte daher die Aus¬ führung auch diesmal verschoben werden Die tuberkulös gefährdeten Kinder wurden wie im Vorjahre im sogenannten Werndlpark zum Teil für den Tag in günstige hygienische Umgebung gebracht. Bei vielen Kindern zeigte sich ein sehr guter Erfog, da bedeutende Gewichtszunahmen festgestellt werden konnten und das Aus¬ sehen derselben zum Teil überraschend gebessert wurde. 9. Beerdigungen Bauliche Veränderungen wurden am hiesigen Friedhofe nicht vorgenommen. Die amtsärztliche Tätigkeit im Bezuge auf Beerdigungen wurde nur gelegentlich von Leichenüber¬ ährungen oder von Exhumierungen in Anspruch genommen 10. Gemeindesanitätsdienst Zur Besorgung des ärztlichen Dienstes beim neu¬ errichteten Städtischen Jugendamte wurde von Seite der Gemeindevorstehung ein eigener Arzt angestellt, dem zugleic die schulärztlichen Agenden an den städtischen Volks= und Burgerschulen zugewiesen wurden. Hiedurch wurde eine geringe Entlastung der älteren städtischen Aerzte herbeigeführt die aber beim Physikus durch sonstige Zunahme seiner amt¬ lichen Aufgaben aufgewogen wird. Letzterer erhielt hiefür aufgetragen, alle für das Arbeits¬ osenamt nötigen Untersuchungen vorzunehmen und zwar für den ganzen Sprengel desselben, das heißt auch für die ingrenzenden Landgemeinden. Außerdem fungiert er als Amtsarzt für das Invaliden¬ für den Gerichtsbezirk Steyr amt n mehreren Fällen erwies sich die Vornahme von sanitätspolizeilichen Obduktionen zur Sicherstellung der Todesursache bei plötzlichem Tode als notwendig. Infektions¬ krankheiten konnten hiebei niemals festgestellt werden. Bei Verdacht auf Geistesstörung war einigemale die Intervention des Amtsarztes zwecks Abgabe in ein Spital oder in ein Irrenanstalt erforderlich. Der Amtsarzt wurde auch zu zahl¬ eichen baubehördlichen Kommissionen herangezogen, um die sanitären Verhältnisse zu berücksichtigen. Handhabung der Lebensmittelpolizei 11. Der Markt in Steyr war auch im Berichtsjahre von en Produzenten immer nur schwach beschickt, so daß auch wie früher die Verbraucher gezwungen waren, direkt zum Erzeuger zu wandern, um dort ihren Bedarf zu decken. Eine Ausnahme machten nur Schwämme, die ziemlich reichlich eilgeboten wurden. Da von der Sicherheitswache, der auch die Marktpolizei obliegt, niemand sveziell in der Schwamm¬ unde ausgebildet ist, hat das Physikat angeregt, daß einem Mitglied derselben die Möglichkeit geboten werden solle, an einem Kurse teilzunehmen, wo diese Kenntnis erlangt werden ann. Wenn auch auf die Einhaltung des Verbotes, zer¬ chnittene Schwämme zu verkaufen, strenge gesehen wird, ist dadurch doch keine Sicherheit gegeben, daß nicht giftige zum Markte gebracht werden. In einem Falle erkrankten zum Beispiel in einer Familie nach einem Schwämmegericht fünf Personen unter Vergiftungserscheinungen und konnte vom behandelnden Arzte festgestellt werden, daß Knollenblütlerpilzvergiftung orlag. Der Pilz war nach Angabe am Markte gekauft worden. die eingeleiteten Nachforschungen nach dem Verkäufer blieben rfolglos. In einem Geschäfte wurde über erstattete Anzeige von Seite der Sicherheitswache eine Kontrolle vorgenommen, vobei mehrfache, verdorbene Lebensmittel konfisziert und dem Gerichte zur weiteren Amtshandlung übergeben wurden Milch wird von den Produzenten in der Umgebung nicht mehr zum freien Verkanfe in die Stadt gebracht. Die ganze zugelieferte Menge wird den Milchausgabestellen zu¬ ewiesen und dort an die Bezugsberechtigten abgegeben. Die Notwendigkeit, die Milch am Lande zu sammeln und dann erst zur Stadt zu führen, bewirkt aber während der warmen Jahreszeit oft, daß nur für die kleinsten Kinder süße Milch abgegeben werden kann, während die anderen Parteien nur bereitsim Sauerwerden begriffene Milch zugeteilt erhalten können Das Brot, dessen Qualität im allgemeinen nicht gelobt verden kann, wurde niemals als verdorben oder gänzlich ungenießbar dem Physikate übergeben Vom feilgebotenen Obste mußten 37 Kilogramm als verdorben und zum Genusse nicht mehr zulässig konfisziert und der Vernichtung zugeführt werden. 12. Sanitätspersonale. Neu niedergelassen hat sich in Steyr Herr Dr. Franz Pimiskern, Fürsorgearzt der Stadtgemeinde. Todesfälle oder onstige Uebersiedlungen von Aerzten fanden nicht statt Hebamme hat sich keine in Steyr neu angemeldet. Die Hebamme Schramml hat ihre Praxis im Oktober zurück¬ gelegt. Gegen mehrere Hebammen wurde vom Kreisgericht die Untersuchung wegen Abtreibung der Leibesfrucht ein¬ eleitet. Im Berichtsjahre wurde diese in keinem Falle ab¬ eschlossen. Es konnte daher gegen die Beschuldigten bisher noch nicht eingeschritten werden Die Hauskrankenpflege erfuhr keine Aenderung. Sie ällt stets den Familienangehörigen zu, da die Zuziehung von Berufspflegerinnen der damit verbundenen Kosten wegen tur in höchst seltenen Ausnahmsfällen möglich wäre und die Zahl der Ordensschwestern, die hiefür zur Verfügung stehen, viel zu gering ist. 13. Oeffentliche und Hausapotheken zur Errichtung der geplanten vierten Apotheke ist es isher nicht gekommen. Im Standort, Besitz und Leitung der bestehenden Apotheken traten keine Veränderungen ein. Die jährliche Apothekenrevision wurde vom Stadtphysikus vorgenommen; vom Apothekergremium war trotz vorheriger Verständigung kein Vertreter erschienen. Uebelstände konnten dabei nicht festgestellt werden. Die Apotheker gaben zu, daß wohl die Beschaffung der Arzneistoffe erleichtert sei, klagten aber, daß der Absatz durch die hohen Kosten beeinträchtigt werde. 14. Allgemeine hygienische und sanitäts¬ polizeiliche Verhältnisse. Die allgemeinen hygienischen Verhältnisse zeigten nur eine geringe Besserung gegen das Vorjahr. Besonders die Ernährungsbedingungen waren anhaltend noch nicht der Norm entsprechend, wenngleich zugegeben werden muß, daß eine geringe Besserung in derselben eingetreten ist. Trotz lledem muß es begrüßt werden, daß das Ausland, speziell Amerika, seine Bemühungen den Kriegsfolgen entgegen¬ uwirken, unermüdlich fortsetzte. Die verschiedenen Hilfs¬ aktionen tragen nachweislich bedeutend dazu bei, besonders

die heranwachsende Jugend den sonst noch unvermeidlichen Entbehrungen zu entziehen und dadurch zu kräftigen. Die Erfolge der amerikanischen Ausspeiseaktion müssen als hervor¬ ragend bezeichnet werden; andererseits soll nicht vergessen werden, daß deren dauernde Durchführung nur durch Beiträge der Gemeinde und der Gesamtbevölkerung ermöglicht wurde. Auch die verschiedenen anderen Aktionen, erholungs¬ bedürftige Kinder unter günstige hygienische Bedingungen zu bringen, kamen einer nicht unbeträchtlichen Zahl solcher aus dem Stadtgebiete zu Gute. Zum Teil konnten diese in Ferienkolonien im Ausland untergebracht werden, zum Teil in der Schweiz, Holland oder Schweden gebracht werden, wo sie überall liebevolle Aufnahme fanden. Mit der Besserung der Ernährung allein kann aber der Volksgesundheit nicht hinreichend geholfen werden, hiezu ist auch eine zielbewußte Fürsorge zur Besserung der Wohnungsverhältnisse nötig. Die Gemeinde Steyr hat in dieser Beziehung alles mögliche aufgeboten. Die zur Ver¬ fügung stehenden Mittel sind aber zu beschränkt um eine wirksame Abhilfe zu schaffen. Es ist nicht einmal möglich, alle Parteien, welche eine eigene Wohnung suchen, mit einer solchen zu versehen. Noch weniger ist es möglich, alle sanitär nicht entsprechenden Wohnräume zu leeren oder deren Be¬ nützung zu verbieten. Die Adoptierung alter Fabriksobjekte zu Wohnräumen seitens der Waffenfabrik ist ebenfalls absolut unzulänglich, um Abhilfe zu schaffen. Bei der bedeutenden Bevölkerungszunahme in den letzten Jahren kann ohne gro߬ zügige Neuschaffungen von Wohngelegenheiten wohl auf eine Minderung der durch unhygienische Wohnungen bedingten sanitären Gefahren gehofft werden. Die Mutterberatungsstelle in Steyr, die im Berichtsjahre dem städtischen Jugendamte angegliedert wurde und deren ärztlichen Dienst der Arzt desselben übernommen hatte, setzte ihre Tätigkeit fort. Der fortgesetzten Stillpropaganda derselben dürfte es zu danken sein, daß die Zahl der Todesfälle an Darm¬ krankheiten bei Kindern bis zu einem Jahre keine Zunahme erfahren hat, 1919 acht Sterbefälle, 1920 acht und daß die Zahl der Todesfälle an Fraissen von fünf auf zwei zurückging. Aus der nachfolgenden Tabelle ist die Verteilung des Todes¬ fälle unter der einheimischen Bevölkerung im Vergleich zu 1919 zu entnehmen. Steyr, am 30 Mai 1921. Der Bürgermeister: Wokral. Die geringe Zunahme an Sterbefälle infolge Lungen¬ entzündung ist infolge einer Influenzawelle im Frühjahr anzu¬ ehen. Sönst können keine lokalen Faktoren zur Erklärung der Schwankungen bei den anderen Todesarten herangezogen werden. Die Krätze hat wohl etwas abgenommen, von einem Ver¬ schwinden dieser Krankheit kann aber nicht gesprochen werden. Eine Zunahme psychischer Erkrankungen oder sonstigen Geistesstörungen wurde nicht beobachtet. Solche auf alkoholischer Basis kamen kaum zur Beobachtung. Sterbefälle an Tuberkulose insgesamt nach dem Alter 1919 1920 Männer Frauen Männer Frauen Sterbefälle an Tuberkulose der Lungen oder der Lungen und anderen Organe nach dem Alter. 1919 1920 Männer Frauen Männer Frauen

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