84 Öffnung genügt haben würde. Indessen scheint auch diese eigentümliche Durchschlagung der Mauer nicht in die Zeit der Wiedererbauung der Burg (im XV. Jahrh.), sondern erst in das XVI. Jahrhundert zu gehören, denn der Schnitt der beiden viereckigen Öffnungen, die Form der Mündungen in der Kapelle, so wie der Anwurf, gehören diesem letzteren Zeiträume an. Der ganze Bau der eigentlichen, dem XV. Jahrhundert ungehörigen Veste, besteht aus Gneisstücken, die fest und scharf aufeinander gelegt, in den Bögen und Wölbungen beinahe schräg ineinander geschoben erscheinen, und eine verhältnismäßig nur magere Verbindung von Mörtel besitzen. — Alles, was Ziegelbau ist, und einen weißen Maueranwurf hat, gehört selbstverständlich, viel späteren Tagen an. Sandstein findet man nur an einigen Stellen des alten Baues, als Eckquadern, Fenstersteine, Sitzsteine und als Verkleidung an den Toren. Wo der Fels abgemeißelt wurde, um eine enge Stelle zu erweitern oder eine Höhe unzugänglich zu machen, wurde bereits ohnedies erwähnt. Von dem älteren Kuenringischen Bau ist aber — nach einer genauen und wiederholten Untersuchung — kein Stein mehr zu finden! Wer also den Aggstein, so wie er jetzt steht, als ein Schloss aus der Zeit der Babenberger betrachten wollte, würde auf einen bedeutenden Irrweg geraten. Wirft man noch einen Blick auf das Profil der Veste, deren ganze Länge 147 Meter beträgt, so findet man: Dass sie auf einen Felsengrat gegründet ist, der nur gegen Osten mit dem Berg und dem Weg in Verbindung steht, nach Süden, Westen und Norden aber mit steilen Wänden in das Tal abfällt und an seinen beiden Enden in hohe Klippen aufsteigt, welche durch eine schiefe Ebene miteinander verbunden sind. Waren hier die von der Natur gebotenen Anlagen zu einer Veste höchst günstig, so wurden sie auch nicht minder klug benützt. Die schiefe Ebene diente zur Errichtung die drei Tore, von denen erst eines nach dem andern erstürmt werden musste, bevor man den dritten Hof erreichte. Dass diese drei Tore nicht der Art gestellt sind, dass eines von dem andern aus nicht gesehen werden könne, liegt in der geringen Breite des Felsenkammes, der nur erlaubte sie beinahe gerade hintereinander aufzustellen. Auf der vorderen Klippe wurde der Berchfried, und auf der Klippe am westlichen Absturz die Hochburg erbaut, welche erst dann mit Sicherheit angegriffen werden konnte, wenn nebst den drei Toren und Höfen, auch der Berchfried bereits erobert war. Durch das Hinaufziehen der Leiter, die in die Hochburg führt, wurde das Ersteigen der Letzteren beinahe unmöglich, aber selbst, wenn es gelang, konnte man sich noch in die Kapelle und in die Gemächer des Hochbaues zurückziehen, die dort hinaufführenden Leitern ebenfalls mit sich nehmen und den Feind von senkrechter Höhe herab, beinahe mit Steinwürfen vernichten. Aggstein gibt also1 das vollständige Bild einer wohl angeordneten, von Schritt zu Schritt zu verteidigenden Burg, die durch ihre steile Lage vor jeder Überrumpelung und durch den weiten Abstand der Klippe von den nächsten, ebenfalls steilen Berglehnen, vor jeder Beschießung mit den ehemaligen, schwer zu transportierenden, und nicht weit tragenden Geschützen gesichert war. Mit welcher ungewöhnlichen Aufmerksamkeit man aber auch auf die vollkommenste Verwahrung dachte, davon gibt das kleine westliche Lugaus in der Hochburg Zeugnis, denn nicht nur dass es sich über einen Felsenhang befindet, den wohl nie ein menschlicher Fuss betrat, so war es nicht nur mit Gitter und Laden, sondern überdies noch mit einem mannsarm-dicken Sperr-Riegel versichert, dessen Einschiebhöhlung man noch in der Mauer gewahrt. Die Veste Aggstein macht trotz der herrlichen, mit jeder Rheingegend hoch wetteifernden Fernsicht, einen sehr ernsten Eindruck, der sich nicht nur in dem Dämmer des Abends, sondern selbst in der sengenden Hitze eines Sommermittags bis zum Düsteren steigern kann und ein phantasiereiches Gemüt dürfte es kaum wagen dort zu übernachten. So sprechen also doch die stummen Steine zu dem der Empfindung besitzt! — Und so reden sie auch anderseits zu demjenigen, der es liebt unter alten Trümmern zu wandeln und die alten Bauweisen zu studieren. Der Aggstein ist schon an und für sich als Bauwerk ein selbstständiges, historisches Denkmal von dem größten Interesse, das durch die Vorfälle, die sich in seinem Umfang ereigneten, nur noch mehr Reiz für den Altertumsfreund gewinnen kann. 1 S. den Durchschnitt der Veste, wo zugleich die Verhältnisse der Terrain-Ansteigung genau angegeben sind.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2