45 Hasses. Wir müssen ihren Fehden und Raubzügen folgen, uns in ihre Verließe voll dumpfen Moders und in ihre schrecklichen Reck- und Hungertürme begeben; nicht bloß auf dem festlich geschmückten Söller nach fröhlichen Gästen, märchenreichen Pilgern und kunstsinnigen Minnesängern hinausschauen, oder uns mit dem andächtigen Burggesinde zu inbrünstigem Gebet versammeln. Vergebens bemühen wir uns von jener längst verschwundenen Zeit nur jenen Teil ihres Wesens zurückzugewinnen, welcher uns eben gefällt und wie wir ihn brauchten. Hier ist kein einseitiges Scheiden des Guten und Üblen, kein eigensinniges Wählen zwischen dem Begehrenswerten und Verwerflichen für das praktische Leben der Gegenwart möglich, und es gilt auch jenem unbedachtsamen Schwärmen für die Zustände unserer Voreltern der inhaltsschwere Grundsatz, dass, wer nicht vorwärts schreitet, schon dadurch rückwärts gehe; wie denn die Erfahrung schon in einzelnen Wahrnehmungen gezeigt haben dürfte, dass es allezeit und überall geschehe: „Dum vitant stulti vitia, in contraria currunt !“1 Bewundern wir also immerhin die herrlichen Schöpfungen des Mittelalters, bewahren wir mit der innigsten Pietät die ehrwürdigen Reste der alten Kunst, laben wir uns an ihren ewig jungen Früchten, und ahmen wir sie mit Geist und Liebe nach: aber ferne sei es zu wähnen, dass wir mit den wiedererstandenen preiswürdigen Formen derselben zugleich den schauerlichen Raub der Verwesung aus den tiefen Grüften der Vorzeit — die unmöglich gewordenen Zustände und Einrichtungen derselben — wie durch Zaubermittel wieder zu einem neuen, blühenden und kraftvollen Leben zu erwecken vermögen! Derjenigen Leser wegen, die vielleicht im Fache der historischen Kritik minder bewandert sind, scheint es nicht überflüssig, von einigen literarischen Produkten zu sprechen, welche die Sage von Schreckenwald romantisch behandeln; nicht um sie, die einen ganz andern Zweck verfolgen, zu tadeln oder herabzusetzen, sondern um möglichen Irrtümern vorzubeugen, wenn es Jemanden einfallen sollte, sich ihrer als Quellen zu einer künftigen neuen Geschichte von Aggstein oder in Reisehandbüchern zu bedienen. Der Aufsatz: „Aggstein“ im Kremser- Wochenblatt Num. 36 und 37 vom Jahre 1856 berichtet: „Auf dem Rande dieses Felsens (des Rosengärtleins), so erzählten sich die Schiffer, erschien von Zeit zu Zeit eine weiße Gestalt, mit fliegenden Haaren, wehmütig die Hände ringend; und zeigte sie sich, so suchten die Schiffer einen Landungsplatz, denn jedesmal verkündete diese Erscheinung einen nahenden Sturm. Diese Erscheinung ward „die Wahnsinnige von Aggstein“ genannt. Der Ursprung der Sage ist folgender:“ (Wir fassen ihn hier kurz zusammen.) Ritter Theobald von Sänftenberg führte seine Braut Rosamunde von Seiseneck zu Schiff heim, wurde von Schreckenwald und seinen Reisigen überfallen, schwer verwundet und bewusstlos auf seinem ruderlosen Schiff zurückgelassen, die Braut aber mit ihrem Brautschatz geraubt und in die Burg gebracht. Hanns von Neudegh, Burgherr auf Oberranna, auf der Jagd zufällig in diese Gegend gekommen, ließ das Schiff ans Land führen und den noch lebenden Theobald zu Oberranna heilen, worauf beide in zahlreicher Begleitung befreundeter Ritter nach Aggstein zogen, das Fräulein zu befreien und an dem Räuber Rache zu nehmen. Theobalds Aufforderung zur Übergabe der Feste wurde von Schreckenwald mit Hohn zurückgewiesen, welcher, von seines Feindes Speer getroffen, sterbend seinem Vertrauten Kuno befahl, Rosamunde aus ihrem Gemach in das Rosengärtlein zu bringen. Die Burg ging an die Sieger über, allein überall forschten sie vergeblich nach dem Fräulein, bis endlich Theobald in der Nacht die Stimme seiner Braut an ihrem leisen Klagegesang erkannte und dann am äußersten Gipfel des Felsens eine weiße Gestalt die Hände ringend erblickte. Zu Hilfe eilend wurde er von der schon dem Wahnsinn Verfallenen für den verabscheuten Schreckenwald gehalten und zugleich mit ihr selbst in den Abgrund gestürzt. Die Leichen des unglücklichen Paares nahm eine gemeinschaftliche Gruft im Kreuzgang der Karthause Aggsbach auf, Schreckenwald ward im Wald bei Aggstein verscharrt. Nicht lange überlebte Hanns von Neudegh diesen traurigen Zug, starb 1459 und wurde in dem von ihm gestifteten Paulinerkloster zu Unterranna beigesetzt. Außer Letzterem, 1 Horatii Sermon. Lib. I. Sat. II. v. 24.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2