11 Hauche des erfrischenden Lüftchens bewegten Blätter die wunderbaren Gestalten der Vergangenheit in unabsehbarem Zuge wandelnder Schatten an uns vorüber; aber nur selten taucht aus den Nebelbildern der grauen Vorzeit eine freundlich lächelnde Erscheinung voll Hoheit und Milde empor, welche das Echo der Wehmut in uns wach ruft und eine heiße Träne trauernder Sehnsucht, dem Genius der Menschheit geweiht, dem Auge des an Erfahrungen reichen Denkers entlockt. Doch schnell ist die holde Gestalt voll Liebreiz verschwunden und die sinnigen Träume seiner harmlosen Jugend, die in flüchtigen Schritten ihm nahten, werden verscheucht durch die düsteren Schatten von Männern der Waffen, des Blutvergießens und menschenfeindlichen Sinnes — kalt wie das ihre Brust umpanzernde Eisen, blutbefleckt wie das in ihrer Rechten dräuende Schwert, vorderen unheilkündendem Blick jedes weichere Gefühl erstarrt. Von bangem Schmerz ergriffen, fliehen wir aus den Tiefen des die Brust beklemmenden Gemäuers hinauf zu den schwindelnden Höhen, von welchen der scheue Blick, in den Umgebungen dieses Adlernestes Erholung suchend, rastlos umherschweift. Tief im Felsental trägt der ruhige Strom auf ebenen Fluten die Früchte des Bodens, die Erzeugnisse des fleißigen Landmannes, der genussreichen Kaiserstadt zu. Mit schwermütigen Klängen tönt die zur Andacht rufende Glocke der alten Kirche von Schwallenbach vom jenseitigen Ufer zu uns herauf und weckt den Widerhall unbeschreiblicher, stürmisch wechselnder Gefühle in der schwer atmenden Brust, bis leise Ahnungen von ewig herrschendem Frieden, sanfte Himmelstöne von einer, selbst im furchtbarsten Toben der entfesselten Erdenstürme nie ganz ungehört verhallenden Harmonie der Welten, deren Schöpfer und Herr endlich alle die Seinen, wie weit und schmerzlich sie auch voneinander getrennt seien, in der reinsten, ewig beseligenden Liebe vereinen und das Sehnen des Glaubens in die Wonne des Schauens verwandeln wird, auf den mit des alltäglichen Lebens kalter Gemeinheit, trugvoller Selbstsucht und verderblichen Leidenschaften entzweiten Pilger im Baisamthaue süßer Tröstungen hernieder schweben und den stillen Dulder in den erquickenden Schlummer frommer Ergebung wiegen, indem sie ihm die Worte des Dichters zurufen: „Durch Nacht zum Licht! — Durch Sturm zur Kuh! — Durch Frost zum Lenz! — Durch Streit zum Sieg! — Durch Schweiss zum Schlaf! — Durch Kreuz zum Heil! — Durch Weh zur Wonn’! — Durch Tod zum Leben!“ (Rosengarten.) So verlässt man denn gerne die menschenleeren Hallen der verfallenen Burg, und nachdem man noch ihrer überaus malerischen Ansicht von einer romantischen Felsenpartie, die dem Zurückkehrenden links außer dem ersten Tor, etwa fünfzig Schritte davon entfernt liegt und wohin ein gebahnter Pfad führt, im Scheiden genossen hat, eilt man mit erleichtertem Herzen hinaus in Gottes freie Natur, wohin der betäubende Hauch der Grüfte nicht dringt, freundlicheren Gefilden und den friedlichen Wohnstätten der Menschen zu;1 denn auch die nächste Umgebung der Feste bildet kein heiteres Bild. An rohe Raublust, an blutgierige Gesetze und schmachvolles Menschenelend erinnert der Gerichtsberg, östlich von Aggstein mit den wenigen Trümmern des ehemaligen Hochgerichts der Herrschaft Arnsdorf, dessen Landgericht das Gut Aggstein bis in die neueste Zeit unterstand,2 und der Polakenkopf, dem der dort aufgesteckte Kopf eines polnischen Räubers den Namen gab.3 Nur der Hönigberg, 1 Vor vielen Jahren, bei meinem ersten, mir unvergesslichen Besuch der Burg, weigerte sich der biedere Greis, der mich von Langeck durch den Wald geleitet hatte, standhaft mir in das Schloss zu folgen, indem er mit ängstlicher Miene und zitternder Stimme stets wiederholte: es sei so „enterisch“ (unheimlich, nicht geheuer) darin, und man könne sich ja ohnehin nicht verirren! Befreit von der Furcht mit mir durch die Ruinen wandern zu müssen, setzte er sich indessen im Freien auf einen Stein und weidete seine Augen an dem herrlichen Anblicke der bald untergehenden Sonne. So verscheucht das Andenken böser Menschen und Taten noch nach Jahrhunderten den einfachen rechtlichen Landmann aus den Trümmern ihres gewesenen Schauplatzes, und nur der Altertumsforscher, der Geschichtsfreund, der Maler und Dichter betreten mit gespannter Erwartung diese Tummelplätze des grausamen Faustrechts, wenn Gewinnsucht oder ökonomische Bedürfnisse nichts mehr daraus zu nehmen oder darin zu benützen finden. 2 Dieses vormals aus zwei dicken Mauersäulen oder Pfeilern, jetzt nur noch aus Einem, bestehende Zeichen einer strengen Gerechtigkeitspflege hat an Schultes (S. 313-314 in der Note) einen Lobredner gefunden, indem er sagt: Dieser alte Galgen, am Ausgang der finsteren Bergschlucht, die den Aggsteiner Felsenberg im Osten von der benachbarten Bergwand trennt, „würde eine herrliche Vignette in einer malerischen Reise durch die Wachau liefern. Er ist vielleicht der traurigste Galgen in der Christenheit, an welchem ein Unglücklicher gehenkt werden kann. Wäre dieser Galgen in England, er würde sicher viele Liebhaber finden“ usw. 3 Wenn der Name nicht viel älter ist, so dürfte er entweder aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges oder erst der zweiten türkischen Belagerung Wiens (1683) von einem, zu den Truppen des ritterlichen Königs Johann Sobiesky gehörigen
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