80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

NÜTZLICHES SCHAFFEN Werkstättenleiter Ing. Franz Müller DER PRODUKTIVE WERKSTÄTTENUNTERRICHT Sechs Schmiedefeuer zischen, sechs Ambosse klingen hell unter den Hammerschlägen. Der große und der kleine Lufthammer überbieten sich im Gepolter, dazwischen saust mit einem schweren Schlag der Bär der 80 t-Pressc auf die Form nieder. Wäre auch noch der Brettfallhammer im Betrieb gewesen, um eine Serie von Schraubenschlüsseln ins Gesenk einzuschlagen, dann hätte der Fachlehrer wohl kaum den eigentümlich ans Trommelfell greifenden Ton wahrgenommen, der ihn jetzt zur 80 t-Presse stürzen läßt. Der Motor läuft noch, aber der schwere Stößel hebt sich nicht mehr. „Wie der Blitz ist er heruntergesaust“, sagt ein Schüler. Auf den ersten Blick sieht der Lehrer, daß die Spindel abgerissen ist. Wie gut war es, denkt er sich, daß ich immer und immer wieder gepredigt habe, daß man nicht in die Presse hineingreifen darf. Ein dankbarer Blick zum Himmel, weil den Buben nichts geschah und dann werden Spindel und Mutter mit einem 1 lebel ausgewogen. An der Bruchstelle sieht man die radial abgebohrten Enden der vier Gewindegänge. „Ist mir völlig klar“, sagt einer aus der Zweiten, „Kerbwirkung.“ Die Firma zeigt nicht das gleiche Verständnis wie der Schüler und will nicht kostenlosen Ersatz liefern. „Wir machen uns die Ersatzspindel selbst“, entscheidet der Direktor. Gewindeschneiden an der Meid-Drehbank (viergängige Spindel mit 127 mm Ganghöhe) „Ist denn das möglich?“ wird sich jeder fragen, der die Verhältnisse nicht kennt. „Flicr handelt cs sich doch um Präzisionsarbeit, wie sie sonst nur in besteingerichteten Maschinenfabriken durchgeführt wird und nicht in einer Schulwerkstätte!“ Hier haben wir aber keineswegs das vor uns, was sich der Laie unter einer Schulwcrkstättc vorstellen mag, einen Ort, wo Schüler am Nachmittag, nach dem eigentlichen Unterricht, mehr schlecht als recht ihre Künste an verschiedenen Materialien und mit verschiedenen Werkzeugen versuchen, bevor beide, früher oder später, ohne einem praktischen Zweck gedient zu haben, auf dem Schrotthaufen landen. Die produktive Lehrwerkstätte ist das Kind einer Notzeit. Ohne Produktion wäre nicht in so erstaunlich kurzer Zeit aus der Verwüstung des Krieges neues Leben in die Werkstätten eingezogen, wäre cs nicht möglich geworden, heute in allen Einrichtungen viel weiter fortgeschritten und besser zu sein als vor dem Krieg. So wie jede Lehrwerkstätte muß auch sie den Zweck erfüllen, dem Schüler das praktische Können zu vermitteln, das ihn zur Ausübung seines Berufes bestens befähigt. Einen besonderen Ansporn zur Arbeit aber erhält der Schüler dadurch, daß er an den Dingen, die er in die Hand bekommt, interessiert wird, aus ihrer Güte und rechtzeitigen Fertigstellung selbst Vorteile zieht, sei es, daß er sic selbst benützen wird, sei es, daß er für sie im Tauschweg Lehrbehelfe und Einrichtungen erwarten kann, die ihm seine Arbeit erleichtern, seine Umgebung verschönern, und seinen Ehrgeiz, den man bei jedem Schüler annehmen muß, befriedigen. Durch die Erzeugung vieler dringend benötigter, gut brauchbarer Dinge, für die nur Materialkosten aufzuwenden waren, wurden bedeutende Summen für die Anschaffung von Einrichtungen frei, die eine Lehrwerkstätte nicht herstellen kann. Mit ihnen wurden die leeren Plätze aufgefüllt, hielt allenthalben die moderne Maschine Einzug in die Schule. In der produktiven Lehrwerkstätte wird aber dem Schüler nicht nur der Arbeitsvorgang selbst gelehrt, er lernt auch die Arbeitsvorbereitung und die Organisation der Durchführung kennen, genau so wie sie in der Industrie üblich, sind. Bei der Vielgestaltigkeit und Vielzahl unserer Werkstätten ist es wohl selbstverständlich, daß nur eine straffe Organisation produktives Arbeiten ermöglicht und die Werkstättenleitung immer einen genauen Überblick über alle laufenden Aufträge haben muß. Ohne Auftragsnummer darf keine Arbeit begonnen werden, wird kein kleinstes Stück Werkstoff ausgegeben. Der Auftrag wird vom Direktor schriftlich auf Grund festgestellten Eigenbedarfes oder eines vom Bundesministerium für Unterricht bekanntgegebenen Fremdbcdarfes erteilt. Die Werkstättenleitung hat dafür zu sorgen, daß notwendige Ausführungszeichnungen hergestellt werden, und gibt diese Unterlagen mit 47

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