80 Jahre Bundesgewerbeschule Steyr

alle österreichischen Bundesgcwcrbeschulen festgelegt worden sind. Es handelt sich um zwei Höhere Abteilungen Ihr Maschinenbau, eine mit dem Spezialgebiet Motoren- und Kraftfahrzeugbau, die andere mit dem Spezialgebiet Landmaschinenbau. Es muß deutlich darauf hingewiesen werden, daß die Ausbildung der Schüler im gesamten Maschinenbau erfolgt, so daß den Absolventen selbstverständlich ein Unterkommen nicht nur im gewählten Spezialgebiet, sondern im gesamten Maschinenbau möglich ist. Im Sommer 1953 setzten 14 Schüler dieser beiden Höheren Abteilungen mit der Ablegung der Reifeprüfung den Schlußstein zu ihrer Schulausbildung. Eür die fünfstündige schriftliche Klausurarbeit aus Deutscher Unterrichtssprache am 2. Mai standen folgende drei Themen zur freien Auswahl: Mein Lieblingsdichter, Theater und Eilm, Weiße Kohle, ein Aktivum unserer Heimat. Das letzte Thema fand den meisten Anklang. Zwei 'Lage später begann die schriftliche Arbeit aus Maschinenbau. Fünf Arbeitstage zu je acht Stunden standen für die Ausarbeitung der gestellten Konstruktionsaufgaben mit den zugehörigen Berechnungen zur Verfügung. Am sechsten Tag mußte in fünf Stunden die technologische Frage beantwortet werden, wobei der vollständige I lerstellungsgang eines Maschinenteils, ergänzt durch Skizzen über dazu benötigte Werkzeuge, Maschinen und Vorrichtungen, zu beschreiben war. Die Abteilung für Landmaschinenbau hatte eine Dreschmaschine mit Schwingschüttler und doppelter Reinigung mit Druckwind zu berechnen, die Trommel samt Korb im Maßstab 2 : 5 zu entwerten und eine vollständige Werkstattzcichnung der Trommelnabe und der Nabenscheibe herzustellcn. Die technologische Frage lautete: „Wie werden Nabe und Scheibe serienmäßig hcrgcstellt?" Die neun Kandidaten dieser Abteilung arbeiteten gleichzeitig mit ihren fünf Kameraden der Abteilung für Kraftfahrzeugbau, denen die Aufgabe gestellt war, die wesentlichen Bestimmungsgrößen eines N u t z k r a f t w a g e n s, angetrieben durch einen wassergekühlten Viertakt-Diescl-Reihenmotor, zu berechnen, das Fahrleistungsdiagramm zur Bestimmung der Höchstgeschwindigkeit aufzustellen und eine Zweiseheiben-Trockenkupplung für diesen Wagen im Maßstab 1:1 zu entwerfen. Von der Druckseheibe war eine vollständige Werkstattzeichnung verlangt, außerdem als technologische Frage ihre I lerstellung zu beschreiben. Am 19. Juni begann die mündliche Reifeprüfung. Zum Vorsitzenden der Reifeprüfungskommission wurde vom Bundesministerium für Unterricht Herr Ministerialrat i. R. Dr. techn. Dipl.-Ing. Josef Peka- rek bestellt. Als Mitglieder fungierten Direktor DipL- Ing. Robert Hillisch und weitere sieben Herren des Lehrkörpers. Jeder Kandidat hatte seine Kenntnisse in Fragen aus vier Gegenständen unter Beweis zu stellen. Alic 14 Schüler wurden aus Deutscher Unterrichtssprache und Mechanik geprüft. Die Fragen aus dem ersten Gegenstand erstreckten sich, angefangen von den Klassikern bis zu modernen Schriftstellern und Dichtern, durch alle Epochen der Literaturgeschichte. In Mechanik zeigte sich das Umfassende dieses Gegen49 Standes: Von den Trägerbcrcchnungen ging es über Riementriebe, Bremsen, Fachwerke, Wellenberechnungen, zu Gasprozessen in Ottomotoren, zur Berechnung von Heißdampfleitungen und Elektrospeiehern. Diesem Gegenstand kommt also keineswegs nur theoretische Bedeutung zu, wie vielfach geglaubt wird. Die 1 lauptsorge bereitete den Kandidaten die dritte Prüfungsfrage, umfaßte sie doch den ganzen Maschinenbau, aus dem je eine Frage gestellt wurde, ohne daß der Prüfling vorher wußte, welches Fachgebiet er zu behandeln hatte. Die gestellten Fragen bezogen sich auf Dampfkessel, Dampfmaschinen und Turbinen, Pumpen- und Wasserkraftmaschinen, auf Hebemaschinendetails und auf Verbrennungskraftmaschinen vom Zweitaktmotor bis zu den Gasturbinen. Die meisten Fragen wurden aus dem speziellen Fachgebiet gestellt. Die Landmaschinenbauer mußten Auskunft geben über Saat- und Erntemaschinen sowie über Bauteile des Steyr-Traktors, während von den angehenden Kraftfahrzeugtechnikern Aufschluß über alle Arten von \\ echsclgetriebcn und Einzelheiten über Radaufhängungen verlangt wurde. Als viertes Prüfungsfach war der einen Hälfte der Prüflinge der Gegenstand Elektrotechnik, der anderen Mechanische Technologie zugeteilt worden. In den elektrotechnischen Fragen wurden hauptsächlich die elektrische Ausrüstung von Kraftwagen sowie der Nebenschlußgenerator, Asynchronmotor und Transformator behandelt. Ihre Kenntnisse aut dem weitverzweigten Gebiet der mechanischen Technologie zeigten die Kandidaten in der Beantwortung der Fragen über Schnittdruck, Drehzahlstufung, Antriebsarten und Sonderausführungen von Drehbänken, über Stanzen und Ziehen, Fräserarten und moderne Sch weißve rfa h re n. Die mündlichen Prüfungen wurden am 29. Jimi mittags beendet und in einer Schlußkonferenz wurde das Gesamtergebnis fcstgcstellt. Von den 1-1 Kandidaten wurden 12 für reif erklärt, davon drei mit gutem Erfolg. Zwei Schüler mußten auf ein halbes Jahr reprobiert werden, da sie bei der schriftlichen Reifeprüfung aus Deutscher Unterrichtssprache versagt hatten, einer von ihnen auch in Mechanik. Mit dem Reifezeugnis in der Tasche verließen 12 glückliche und hoffnungsfrohe Menschen nach einer insgesamt mindestens 13jährigen Schulzeit die Anstalt. um sich zunächst in einer anschließenden fünfjährigen „ingenicurmäßigen“ 'Tätigkeit in Industrie oder Gewerbe das Recht auf die Verleihung der In- genicururkunde durch das Handelsministerium zu erwerben, die ihnen erlaubt, die Standesbezcichnung ..Ingenieur" (Ing.) vor ihrem Namen zu führen. Sic werden bis dahin 24 Jahre oder älter sein und nach so vielfacher theoretischer und praktischer Schulung, Prüfung und Erprobung ihrem Stand und ihrem Land alle Ehre machen. Eine groß angelegte Maturareise vereinigte noch einmal alle Klassenkameraden bei einer Htägigcn Autobusfahrt, die unter der Leitung des Jahrgangsvorstandes durch viele Industriewerke des Ruhrgebietes führte und in einem Besuch Hollands gipfelte. Die größten Städte, Amsterdam mit seinen zahlreichen „Grachten", Den Haag mit dem weltbekannten Seebad Scheveningen und Rotterdam mit seinen gigantischen Hafenanlagen, vor allem auch die Nordseeküste hinterließen bei allen 'Teilnehmern unvergeßliche Eindrücke für das ganze Leben.

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