Zum 75. Todestag von Anton Bruckner

leisten versuchen. Man kann das geschützte Werk nicht den heutigen Stabführern überlassen, ohne die Garantie zu haben, daß in den Konzertheften die fehlerhaften und fertig genähten Schilderungen von anno Schnee ausgerottet sind. Im Texte liest der Besucher über einen histörchenbeladenen Komponisten des tiefen XIX. Jahr- hunderts, indes auf dem Podium vor ihm der Dirigent einen modernen Tonsetzer seiner Epoche versachlicht exekutiert. Das ist ein Widerspruch, der nicht mehr hingenommen werden soll. Darum gehört die Weisung: Mit der Belletristik wurde an Anton Bruckner genug gesündigt. Sie war, wie beim Titanen Ludwig van Beethoven, wie beim lieblichen Wunderkinde Wolfgang Amadeus Mozart, wie beim Schwammerl Franz Schubert, eine Maletristik, weil sie im Kitsch versüßte, was das Leben versauert hatte. Man machte vor bloßen Schwätzereien nicht halt. Die Figur wurde für den Roman passend präpariert und verpoetisiert, mit falschem Schein umgeben, um das All- zumenschliche an die Tränen zu bringen. Die schönen Worte der Schriftsteller - heißen sie nun Ernst Lissauer, Robert Hohl- baum, Gustav Renker, Rudolf List, Luise George Bachmann, Fritz Grüninger oder Alfons Bopp, Josef Tomann, Hans Franck, Kurt Arnold Findeisen, Carl Hans Watzin- ger und Dolf Lindner, um das Dutzend vollzudrängen - sind keine Rechtfertigung des Genies, das meist außerhalb der Gesellschaft vaziert. Seine Unbeholfenheit zu nützen, ist nicht nur billig, sondern es wird damit keine verläßliche Interpretations- grundlage geliefert. Menschliche Eigenschaften erklären nie restlos schöpferische Qualitäten. Im übrigen gibt es Dinge, die sich einer Beschreibung entziehen, weil sie einer Wiedergabe unzugänglich sind; daher soll man sie in ihrem Geheimnis lassen. Das wußten bedeutende Autoren immer; nur Dilettanten zupften neugierig an den keuschen Schleiern. Liest man die nichtssagenden Sätze, etwa: ... die Urtiefen der einzigartigen Musik zermalmten ihn, oder: ... Handwerker und Pater seraphicus, Spießbürger und Pro- phet, Schulmeister und Imperator, oder: .. . Umstürzler und Gefährlichster unter den musikalischen Neuerern des Tages, um dessen Seele sich einmal Engel und Teufel streiten werden, weil dessen Werk gleichermaßen duftet nach himmlischen Rosen und stinkt nach höllischem Schwefel, - dann wird man nicht nur von ver- logenen Phrasen umspült, sondern ebenso von furchtbarer hilfloser Sentimentalität gepackt. Man ist an den Ort der Versuchung gedrängt, wo die Kunst aus Wohl- meinung steril erstickt oder verzwergt. Die gute Absicht, die auch in den religiösen Titeln: Der Gott in Flammen, oder: Der Musikant Gottes, oder: Die Herrgotts-Symphonie, steckt, verstelle nicht länger Leben und Schaffen des bäuerlichen Mannes aus Ansfelden, indem man ihn in der trivialen Schnulze des Groschenromans ansiedelt. Räuspern und Spucken, noch so perfekt abgeguckt, sind nicht authentischer als Eingebung und Ausführung in den niedergeschriebenen Noten. Um über Anton Bruckner Endgültiges zu erfahren, schlage man die Partituren auf. Ein Musiker redet nicht in der Sprache der Probleme wie der Philosoph; er läßt sich nicht erkennen aus Linie und Farbe wie der Maler; er rühmt nicht die Herrlichkeiten der Erde und Gestirne mit Hymnen wie der Dichter-: sein Jauchzen und Weinen, sein Leid und sein Glück, seinen Untergang und Triumph singen die Sphärenfiguren der selbst schweigend hörbaren Töne. Die zeitgemäße Deutung Anton Bruckners, entromantisiert und ganz verstanden 16

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