Zum 75. Todestag von Anton Bruckner

Er trug dieses Schicksal und mehr noch, er nahm es auf sich, der Harmonielehre und dem Kontrapunkt das Heimatrecht an der Wiener Universität zu erobern, trotz des Widerstandes seines unversöhnlichen Feindes Eduard Hanslick. Aus dem Schulgehilfen von Windhaag wurde ein Lektor an der Universität, von der Mittel- schule des damaligen Konservatoriums stieg er auf zum Lehrer an der ersten Hoch- schule Österreichs. Es war wieder Dienst an der Jugend: jetzt nicht an kleinen Volksschülern, sondern an jungen Menschen, die dereinst berufen wurden, seine Apostel zu werden, wie die Brüder Franz und Joseph Schalk, Ferdinand Löwe und manche andere. Man muß also die Größe Bruckners nicht nur in seinen Kompositionen, sondern auch in seiner Eigenschaft als Lehrer sehen. Das Wort muß hier in seiner ureigensten Bedeutung genommen werden, mit der ausgedrückt wird, daß jemand sich bemüht, Kenntnisse zu vermitteln, junge Menschen heranzubilden, der also fähig ist, sich selbst auszuleeren, damit andere empfangen können. Diese Eigenschaft ist nur aus großem, sittlichen Ernst zu verstehen, und den hatte Bruckner. Das erkennen wir an zweien seiner Charakterzüge: an seinem Verhältnis zur Frau und an seiner Frömmigkeit. Bruckner ist ein Kind des Vormärz, er empfing aus dem Geist dieser Epoche seine Achtung vor den geistlichen und weltlichen Autoritäten, im Zusammenhang damit seine Unterwürfigkeit, ja Ängstlichkeit, es nur ja recht zu machen. Die Summe dieser ihn hemmenden Einflüsse spiegelte sich auch in seinem Verhalten Frauen gegenüber wider. Es ist bekannt, daß er leicht für eine junge Schönheit entflammt war, im nächsten Augenblick aber, von seiner Kompositionskraft gebannt, sie schon wieder stehen ließ. ,,Ich kann jetzt nicht, ich muß meine Vierte komponieren", schrieb er einmal einem Freund, den er gebeten hatte, für ihn nach einer Braut Umschau zu halten. Bruckner hatte die redliche Absicht, eine Frau zu finden, das beweist sein Brief an Josephine Lang von 1866, war aber dann in der Behandlung der von ihm Erkorenen so ungeschickt und in seinem Tun und Lassen diesbezüglich so weltfremd, daß ihm der Erfolg versagt blieb. Diese Sehnsucht begleitete ihn bis in sein vorgeschrittenes Alter und ließ ihn fast zu einer Figur der Lächerlichkeit werden. Dazu trug seine bäuerliche Kleidung, weite Hosen, weitsitzendes Sakko, ebensolcher Hemdkragen, Schlapphut und Schnupftuch gleichfalls bei. Es ist nun eigentlich erschütternd, sehen zu müssen, wie der Schöpfer der V., VII. oder VIII. Symphonie menschlich so sehr in Schwierigkeiten gerät, ja sogar Zielscheibe des Spottes wird, weil er dem intellektuellen Zeitalter des Jahrhunderts als ein unge- bildeter Mensch erschien. Aber darin liegt eine verborgene Größe, die nur der entdeckt, der sich dem Meister mit menschlich fühlendem Herzen nähert. Er muß durch die gewaltige Logik der Werke hindurchsehen können, in die innerste Seelenkammer Bruckners, in der neben Güte und Demut auch Kraft und Beharrlichkeit beisammen liegen. Bruckner mußte sein menschliches Teil tragen und ertragen, weil er zu Höherem berufen war. Und er hat es getragen. Seine Unbeholfenheit der Frau gegenüber, aber auch seine Einfalt und Naivität, die glaubte, daß der Kaiser mächtig genug sei, um den ihm übelwollenden Kritiker Hanslick zu gemäßigterer Schreibweise zu veranlassen. Auf derselben charakterlichen Ebene liegt auch seine Ängstlichkeit allen denen gegenüber, die sich in höheren Stellungen befanden, oder, wie so manche seiner Schüler und Freunde, ihm mit Wissen und Kenntnissen entgegentraten, die zu erwerben er 11

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