Zum 75. Todestag von Anton Bruckner
laten Michael Arneth, der ihn, obwohl er schon dem Stimmbruch nahe war, dennoch als Sängerknabe aufgenommen hatte, antwortete er: ,,Wie der Vater." Er wurde also Lehrer. Das bedeutete in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts den Beruf eines Hungerleiders, das Beschreiten eines dornenvollen Weges, denn allzuviel Achtung genoß der Lehrer damals nicht, obwohl man ihn „brauchte". Brauchte vor allem zur Kirchenmusik, aber auch zu weltlichen Belustigungen, bei denen die Tanzmusik nicht fehlen durfte. Dieser Umstand war für das Musikgenie Bruck- ner ein Trost: er durfte nicht nur, sondern er mußte Musik betreiben. Für einen Schullehrer des Vormärz war es selbstverständlich, daß er musikalisch war, nicht nur fürs Unterrichten, sondern auch, sofern die eigene Begabung ausreichte, auch fürs Komponieren, selbst wenn es meist nur einfachste Kirchenmusik und viel- leicht noch ein Tanz und die eine oder andere Chorkomposition war. In dieser Bescheidenheit der Schulstube von 1840, in der sich auf engem Raum 50 bis 80 Kinder drängten und lernen sollten, wuchs Bruckner auf. Er unterrichtete: Lesen, Schreiben, Rechnen, Naturkunde. Die Stunden an der Kirchenorgel dürften „Sternstunden" für ihn gewesen sein, da befand er sich in seinem Reich, in der Musik. Auch die Kenntnis der Welt Johann Sebastian Bachs muß Seligkeiten in ihm hervorgerufen haben, wenn er am Spinett sich mit ihr auseinandersetzte. Aber, des Tages Arbeit hieß: Unterrichten. Bruckner hat seine Lehrerpflichten sehr ernst genommen. Das beweisen die Zeugnisse, die ihm seine Vorgesetzten aus- stellten, das beweisen Erinnerungen, die von der Strenge des jungen Lehrers, aber auch von seiner Güte zu berichten wissen. In dieser Enge, die noch fühlbarer wurde durch Kirchendienste, durch Aushilfsarbeiten für den Schulmeister, verkümmerte in Bruckner aber nicht der Sinn zu Höherem. Das ereignet sich zuerst wieder auf der Schulebene. Um sich weiterzubilden, besucht er nach zehn Jahren den verbesserten Präparandenkurs und fünf Jahre später die neu eingeführte Unterrealschule. Aus dem „Schulgehülfen" wurde ein Hauptlehrer. Ein Jahr vor dieser Prüfung hatte Bruckner aber bereits die Missa solemnis in b-Moll komponiert, auf Grund der ihn Simon Sechter, der berühmte Musiktheoretiker, zum Schüler annahm. Welche Größe liegt doch in diesem Pflichtbewußtsein, als Lehrer auszuharren, als Lehrer weiterzuschreiten, obwohl Bruckner bereits Stiftsorganist von St. Florian war und vor der genannten Messe auch schon ein Requiem und manches andere komponiert hatte. Die große Orgel von St. Florian war es auch, die ihm seinen weiteren Weg wies - als Domorganist von Linz. Man könnte einwenden, daß ja Hunderte von Lehrern zu Bruckners Zeiten genauso pflichtbewußt ihren Beruf ausgeübt haben, daher genauso das Anrecht auf Größe haben wie Bruckner. Das stimmt auch, nur mit einem entscheidenden Unterschied: sie hatten nicht die doppelte Last von Beruf und Genie zu tragen. In Linz wurde die Musik nun Bruckners Beruf, seine Eigenschaft als Komponist offenbarte sich in den drei Messen, in zwei Symphonien, der „Nullten" und der „Ersten". Wir wissen, daß Bruckner von da ab in die Größe seiner neun Symphonien hineinwuchs. Aber: Dieses Wachstum wurde ihm nicht leidlos geschenkt. Er mußte wieder Lehrer werden. Jetzt allerdings in seiner eigenen Kunst, aber immerhin, er mußte wieder unterrichten, mußte Stunden geben, sich mit Schülern abplagen. Wieviel an Zeit ging hier für die schöpferischen Eingebungen verloren - welches Maß von Geduld wurde ihm abgefordert! 10
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