75 Jahre Landeskrankenhaus Steyr 1916-1991

DIFFERENZEN MIT DEM MAGISTRAT Die Ungewißheit über das Verbleiben der Barmherzigen Schwestern hinderte Bürgermeister Julius Gschaider dennoch nicht, mit ihnen umzuspringen, als wä re er verfügungsberechtigt. So ließ er im September 1913, ohne vorher die Schwestern verständigt zu haben, neben dem Spital zu St. Anna vom Roten Kreuz zwei Spi tal sbaracken aufstellen und verlang te mit Schreiben vom 21. September 1913 vom Orden, daß er sechs Krankenschwestern zum Dienst in den Notbaracken abstelle; mit dieser Forderung berief er sich auf den Vertrag zwischen Orden und Stadtgemeinde Steyr. DieAntwort der Generaloberin in Wien, Sr. Gervasia Sa lzner, und des Superiors Dr. Josef Seywa ld war erkennbar gereizt. Die Ordensvertretung berief sich ihrerseits auf den Vertrag, wonach die Schwestern verpfl ichtet waren, im Spita l zu St. Anna sowie in den Krankenzimmern des Armenverpflegshauses Dienst zu tun, nicht jedoch in anderen Ubikationen. ,,Angesichts der Schwierigkeiten, welche der löbl. Stadtgemeinde Steyr aus dem Vertragsverhältnis mit einem Institute, welches den an dasselbe gestellten Anforderungen nicht in der Lage ist, fortwährend erwachsen, ist wohl zu erwägen, ob nicht am besten eine lbsung des Vertragsverhä ltnisses anzustreben wäre." Trotz dieses deutlichen Hinweises stieg Bürgermeister Julius Gschaider nicht vom hohen Roß. In seinem Gegenschreiben vom 24. September 1913 wandte er jene Taktik an, d ie die Stadtverwa ltung schon Jahrzehnte im Umgang mit den Barmherzigen Schwestern geübt hatte: sie mit Lob zu überhäufen, wenn man sie wieder versöhnen wollte. Er, Julius Gschaider, frage sich vergeb lich, welche Schwierigkeiten sich ergeben hätten, auf Grund deren eine lbsung des Vertragsverhä ltnisses anzustreben wäre. „Im Gegentei le hat die Stadtgemeinde in dieser langen Zeit nur Gelegenheit gehabt, die Pflichttreue und ehrwürdigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul auf das dankbarste anzuerkennen und es ist mir auch nicht ein einziger Fall einer Differenz zwischen der Stadtgemeindevorstehung und der lnstitutsvorstehung bekanntgeworden." Die Aufstellung der Spitalsbaracken wäre e ine Notwendigkeit gewesen, da durch den Fabriksneubau eine Vermehrung der Einwohnerzahl mit wenigstens 6000 Personen und für den Winter ein Ansteigen der Krankheitsfälle zu erwarten wäre. Im übrigen würden auch vier Schwestern für den Pflegedienst genügen. Trotzdem: mit 30. September 1913 ließ Sr. Gervasia Salzner mit „ lebhaftem Bedauern" mitteilen, daß der Orden den Pflegedienst in den Spitalsbaracken nicht übernehmen könne. Über Intervention der Statthalterei in Linz kam es dann doch zu e iner versöhn lichen Geste, denn die Generaloberin Gervasia Sa lzner teilte dem Statthalterbeirat am 13. Oktober 14 1913 mit: ,,Ich beehre mich, hier mit geneigter Kenntnisnahme zu unterbreiten, daß wir bereit sind, im äußersten Notfalle und auf beschränkte Zeit im Barackenspitale in Steyr durch zwei Schwestern Aushilfe in der Krankenpflege zu leisten, insoweit es die Bedürfnisse des bestehenden Spitales in Steyr gestatten." Mit 1. Februar 1914 richtete Bürgermeister Julius Gschaider das offizielle Ansuchen an die Frau General oberin der Barmherzigen Schwestern in Wien auf Übernahme des Krankenpflegedienstes im neuen Spital. Vorgesehen wären 172 Betten, wobei bis zur Errichtung eines Infektionspavillons das Spital St. Anna bei Bedarf als Infektionsabtei lung vorgesehen wäre. ,,Die Stadtgemeindevorstehung Steyr ersucht daher den ehrwürdigen Orden, im neuen Krankenhause wiederdie Pflege der Kranken, bestehend in der Wartung und Speisung der Kranken, des Wartepersonals und der Ärzte, die Reinigung und Instandhaltung der Wäsche, der Reinigung der Lokalitäten und Geräte . . .". Hiefür würden 26 bis 30 Schwestern notwendig werden. „Das Institut ist bereit, die Krankenpflege im neuen Krankenhause, die Verköst igung der_Kranken, des Wartepersonals und der Arzte, die Reinigung der Wäsche, die Reinigung der Lokalitäten und Geräte zu übernehmen, vorausgesetzt, daß auf die nachstehenden Äußerungen von der löbl. Stadtgemeinde eingegangen wird", schrieb die Generaloberin am 5. März 1914 zurück. Der Orden sei kaum in der Lage, sofort 26 bis 30 Pflegeschwestern beizustellen, hätte aber nichts dagegen, einem Vorschlag des Frauen-Hilfsvereines in Linz zu folgen , wonach Pflegerinnen des Roten Kreuzes einen Teil der Pflege übernehmen könnten. Die Barmherzigen Schwestern würden die Pflege weibl icher und männlicher Patienten übernehmen, mit Ausnahme der syphilitischen und „gewisser Dienstleistungen bei Männern, welche durch Diener geleistet werden müssen". In den Vertragsverhand lungen kam es abermals zu Divergenzen zwischen dem Orden und der Stadtgemeinde Steyr, in Schriftverkehr vertreten durch Bürgermeister Julius Gschaider. Die Stadt Steyr solle, so der Ordensvorschlag, pro Kopf und Tag in der III. Klasse zwei Kronen und zehn Heller zahlen, wovon den Schwestern eine Krone und zehn Heller für die Verpflegskosten und den Aufwand ihrer sonstigen Tätigkeiten (Reinigung, Wäsche usw.) zufallen sollen. Gschaider erwiderte, dann verbliebe pro Tag und Person lediglich eine Krone für den sonstigen Aufwand (Ärzte, Personal, Verbandstoffe, Beheizung, Beleuchtung, Erhaltung der Maschinen, sonstige Einrichtungen und Gebäude etc.); dadurch würde es zu einem bedeutenden Defizit in der Verwa ltung des Spita ls kommen, das die Stadt zu tragen hätte. 90 Heller pro Tag und Kopf, so Gschaider, wären als Verpflegskostenantei l genug. Während noch um die Verpflegskostenanteile gefeilscht wurde, obwohl das neue Krankenhaus noch gar nicht in Betrieb war, machte der Ausbruch desWeltkrieges die bisherigen Vorstellungen unaktuell. Die Teuerung brachte es mit sich, daß der Tagessatz in St. Anna auf 1Krone und 25 Heller erhöht wurde, doch schon im Juli 1915, dem zweiten Kriegsjahr, führte die Generaloberin Gervasia Salzner dem Magistrat Steyr vor Augen, daß sie damit nicht mehr das Auslangen finde und verlangte „mit Rücksicht auf die außerordentlichen Teuerungsverhältnisse" eine Verpflegsgebühr von 1 Krone 60 Heller pro Tag und Kopf. Und, was völlig neu war: diese Verpflegsgebühr sollte auch für die diensttuenden Schwestern bezahlt werden. Die Zusage müsse binnen 14 Tagen erfolgen - ,,widrigenfalls der Orden sich die Kündigung des bestehenden Vertrages vorbehält". Festzuhalten wäre, daß sowohl der Orden als auch die Barmherzigen Schwestern bis dahin keinerleiEntgeltfür ihre Tätigkeit erhielten, sondern sich, was ihre eigene Verköstigung sowie Kleidung und Utensilien für ihre Tätigkeit betraf, aus den Verpflegsgebühren für die Patienten gewissermaßen miterhalten mußten und im übrigen ohne persönliche Bedürfnisse ihre Arbeit um „Gotteslohn" verrichteten. Bürgermeister Julius Gschaider reagierte erstaunt: die Schwestern hätten doch bi sher auch keine Entlohnung in Geld beansprucht. Er wurde in der Kanzlei des Bischöflichen Ordinariates in Linz vorstellig und beklagte sich über den gereizten Ton, in dem die Genera loberin in Wien und die Frau Oberin in Steyr mit ihm verkehrten. Er selbst sei sich keiner Schu ld bewußt; nur bei den Schwestern mache sich eine ,,ablehnende Haltung" bemerkbar. Die Generaloberin, die vor kurzem bei ihm in Steyr gewesen sei, habe noch gar keine Zusage gemacht, daß der Orden auch die Pflege im neuen Spita l übernehmen würde, habe aber verlangt, daß die Schwestern auch schon imSpital St. Anna die Tagessätze von 1 Krone 60 Heller pro Person ver langen würden. Die Erhöhung des Tagessatzes und die Einbeziehung der Schwestern in die Verpflegsgebühren würden die Stadt Steyr im Jahr mit 92.000 Kronen belasten. Der Kapitelsekretär Josef Zierer verfaßte ein Gedächtn isprotokoll von der Vorsprache, das dann der Generaloberin in Wien zur Stel lungnahme übermittelt wurde. Am 23. Oktober 1915 wu rde der Tagessatz von 1 Krone 60 Heller genehmigt. Aber auf die Zah lung von Verpflegskosten an die Barmherzigen Schwestern gehe, so die Mitteilung, der Gemeinderat grundsätzlich nicht ein . Am 19. Dezember 1915 machte die Generaloberin der Stadtgemeinde Steyr

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