75 Jahre Landeskrankenhaus Steyr 1916-1991

Stigler, daß dieses Kapital „im Sinne der erblasserischen Verfügung nur zur Erbauung und Errichtung eines neuen Spitals, nicht aber zur Renovierung und Adaptierung und eventuellen Vergrößerung des bereits bestehenden Krankenhauses verwendet werden darf". APPELL AN DIE ÖFFENTLICHKEIT Während die Notwendigkeit eines Krankenhausneubaues zwar erkannt wurde, aber noch keine entscheidenden Schritte zu einer Realisierung des Vorhabens gesetzt wurden, wurde die Situation im Spital zu St. Anna immer drückender. Primarius Dr. Viktor Klotz, alsSchüler Billroths mit den Erfordernissen einer zeitgemäßen ärztlichen Betreuung vertraut, - er entfaltete auch eine hervorragende chirurgische Tätigkeit - sah angesichts der Untätigkeit der Stadtverwaltung schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als sich mitderDarstellung der ganzen Misere an dieÖffentlichkeit zu wenden. Unterstützt wurde er dabei tatkräftig von Fräulein Hedwig Werndl, die sich lebhaft für Krankenpflege interessierte. Der öffentliche Aufruf, den Dr. Viktor Klotz und Hedwig Werndl im April 1907 erließen, zeichnet mehr als alles andere die Situation, wie sie damals im Spital zu St. Anna bestand: „Das heutigeKrankenhaus ist aus äußerst dürftigen Anfängen herausgewachsen, es war in den Zeiten großer Epidemien früherer Jahrhunderte eine Unterkunftstätte für solche, die diesen verfallen waren, wurde später in ein Siechenhaus und zuletzt in ein Krankenhaus umgewandelt. Vor etwa 70 Jahren machten Sammlungen von seiten der Barmherzigen Schwestern, insbesondere aber des dortigen Seelsorgers unter Mitleidigen und Wohlwollenden möglich, das Gebäude so herzustellen, wie es jetzt steht. Vor 70 Jahren! Seither steht es, geringfügige Änderungen abgerechnet, unverändert. Im Jahre 1892 wurde es in städtische Verwaltung übernommen und der Belagraum mit Rücksicht auf Luft und Licht mit 46 Betten von dem Sachverständigen der Statthalterei festgesetzt. Also 46 Betten haben in dem Gebäude so Platz, daß genügend Luft und Licht für die Patienten vorhanden sind. Der Durchschnittsbelag aber ist auf 92 Patienten pro Tag im Jahre 1905gestiegen, der geringste Tagesbelag war 67 Patienten, der höchste aber 130. Der Platzmangel ist durch Zahlen treffender erwiesen als durch vieleWorte und sei es uns erlassen, genauer zu besprechen, wie es im Winter in den Krankenzimmern aussieht, wei l es widerstrebt, dieses in gar düsteren Farben zu schildern, und andererseits mangels des erforderlichen Geldes auch zur Abhilfe nichts geschehen konnte. Ausschließlich und allein nur ein Neubau kann hier helfende Änderung schaffen. Was aber freimütig und ohne Zaudern bekannt werden muß, sind die Mängel der Einrichtung. Es bestehtnurein Operationsraum, in dem alle Eingriffe gemacht werden müssen, gleichviel, ob es sich um schwere eitrige und zur Übertragung geneigte Prozesse handelt, oder um alle jene vielen, deren höchstes Ziel die Heilung ohne Eiterung ist. Wenn man bedenkt, daß ein einziger mikroskopisch kleiner Eitererreger, der im Operationsraum von der vorigen Operation zurückgeblieben, und das ist auch bei der allerminutiösesten Reinlichkeit nicht sicher hintanzuhalten, in die bei der folgenden Operation eröffnete Bauchhöhle gelangt, den unabwendbaren Tod zur Folge haben kann, so wird jeder es begreiflich finden, daß der Arzt immer nur im äußersten Falle und unter einem schweren Gewissenskampfe zu solchen Operationen schreitet, die Heilung ohne Eiterung verlangen. Und wie leicht wäre dem abzuhelfen durch Beistellung von zwei getrennten Operationsräumen, einer für Operationen an Eiterungsprozessen und einer für alle übrigen .Weiters ist das Operationszimmer mit Gas beleuchtet. An der Gasflamme verbrennen die von der Narkose aufsteigenden Chlordämpfe zu Salpetersäuredämpfen, diese ausgesprochen giftigen Gase reizen die Lungen der Patienten, Schwestern und Ärzte aufs ärgste und es ist vorgekommen, daß Kranke mit absolut gutem Wundverlaufe an schweren und sogardas Leben gefährdenden Lungenkrankheiten infolge des Einatmens der scharfen Dämpfe litten; daß Schwestern und Ärzte jedesmal, wenn bei Licht operiert werden muß, Lungenkatarrhe bekommen und mitunter monatelang an diesen laborieren, soll nur kurz nebenbei erwähnt werden. Daß diesem Übelstande etwa durch Siemensbrenner oder Ventilation abzuhelfen sein würde, haben mehrfache Versuche als unmöglich erwiesen, da der Raum zu klein und zu nieder dafür ist. Dagegen wäre durch Einführung des luftdicht geschlossenen elektrischen Glühlichts sogleich radikale Hilfe geschaffen. Endlich fehlt im Krankenhaus ein Röntgenapparat, der heute nicht mehr entbehrt werden kann. Wenn es sich umSitz eines Fremdkörpers, umArt und Richtung eines Knochenbruches, um Verletzungen innerer Organe durch Knochensplitter oder endlich um innere Erkrankungen selbst handelt, deren Diagnose durch die Radiographie erleichtert und gestützt werden soll, so ist ein Röntgenapparat absolut nötig, ganz abgesehen davon, daß eine Reihe von Krankheiten durch die Bestrahlung auch therapeutisch günstig beeinflußt wird. Schließlich sei noch erwähnt, daß die Errichtung des Baderaumes und dieser selbst völlig unzulänglich sind ." Man mag ermessen, wie sehrr ein Arzt, der bemüht war, bei den chirurgischen Eingriffen alle Vorkehrungen der Asepsis anzuwenden, und der auch über die Möglichkeiten der neuen Röntgenmedizin Bescheid wußte, unter den völlig unzulänglichen Verhä ltni ssen seines Krankenhauses gelitten haben muß. Damit waren aber die Klagen, die er der Öffentlichkeit unterbreitete, noch nicht abgeschlossen. ,, Es sei erwähnt, daß zwei Zimmer mit zusammen acht Betten als Infektionstrakt dienen. Das ist gewiß löblich, aber auch dies ist unzulänglich. In Steyr sterben die gewissen Kinderkrankheiten :Scharlach, Masern, Steinplottern, Mumps, Diphterie, Croup, nie aus. Und zwar sind meist zwei bis drei vertreten. Es lagen schon 15 Kinder zugleich an verschiedenen dieser Krankheiten leidend in der Abteilung, also ist es unmöglich, diese zu sondern. Was resultiert daraus? Man muß verschiedene Krankheiten in denselben Raum, und zwar dicht beisammen legen .Wie groß ist da doch die Gefahr der Übertragung! Ähnlich verhä lt es sich mit den Erwachsenen, die an Typhus und Tuberkulose leiden . Die Isolierung solcher Kranken in für sie bestimmte Räumlichkeiten muß im Interesse der anderen Kranken dringendst gefordert werden. Ebenso verhält es sich mit den fri sch Operierten und solchen mit eiternden Wunden,oder gar mit Rotlauf.Bei der Unmöglichkeit, sicher zu isolieren, sind alle fortwährend der Gefahr der Übertragung ausgesetzt. In Steyr konnte man sich nicht anders helfen, als Wunden jeder Art im selben Zimmer zu lagern und Rotlauf auf die Zimmer der inneren Krankheiten zu weisen. Ein gewiß nicht ausreichender Behelf, noch weniger die Anstalten, die, wie hier, fast alle Zimmer durch Türen miteinander verbunden haben. So drängt alles mit zwingender Notwendigkeit zu einem Neubaue, denn wenn es etwa auch anginge, durch elektrisches Licht im Operationsraume und Anschaffung eines Röntgenapparates in zwei Dingen Besserung zu schaffen, so bliebe alles übrige, wie wir zeigten, denn Raum zur Vergrößerung ist keiner vorhanden und kann bei der Si tuation des jetzi - gen Objekts auch nicht beschaffi werden. So haben wir denn frei und offen gesagt, daß es nötig, ja geradezu unabweisl ich ist, durch einen Neubau in Steyr, in den unzulänglichen Spitalsverhältnissen Wandlung zu schaffen . Aber hiezu gehört mehr Geld, als in dem städtischen Fonds zum Neubau durch die hochherzige Spende des verstorbenen, nicht genug zu ehrendenWohltäters,des Herrn Haratzmüller, vorhanden ist. Und darum haben wir uns unterfangen, zu zeigen, wie sehr es nottut, zu bitten: Ihr, die Ihr imstande seid, zu helfen, gebt, damit Euer Name gesegnet werde von den Lippen der Leidenden, ja vom letzten Hauche der Sterbenden. Mahnend möge aber der Gedanke Wurzel fassen, das, was einer nicht zuwege bringen kann, mit vereinten Kräften leicht vo ll - brachtwird. Möge es auch hierin Steyr so werden!" Dieser Aufruf, von Primarius Dr. Viktor Klotz und Fräulein Hedwig Werndl unterzeichnet, wirkte nicht bloß in der Bevölkerung 11

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