75 Jahre Landeskrankenhaus Steyr 1916-1991

wurde kurzerhand mit dem Hinweis außer Kratt gesetzt, die Verrechnung der Heil-und Pflegekosten mit dem Armeninstitut wäre nur ein befristetes Zugeständnis gewesen. In dem Schreiben des Bürgermeisters Josef Pöltl vom 10. August 1868 heißt es, die ehrwürdigen Schwestern wü rden auf d ie Verpflichtung zur Vertragstreue hingewiesen und angehalten, ,,erstens nunmehr ohne Weigerung d ie Bestimmungen des § 9 des obgenannten Vertrages" - vom 5. Jun i 1849 - ,, ihrem gegebenen Versprechen gemäß, so wie auch den § 13 desselben Vertrages getreul ich zu erfüllen"; zweitens aber gebe d ie Gemeindevorstehung bekannt, daß ,,nachdem es unter den Sifilit isch erkrankten auch Personen boshaften Charakters gibt, der Gemeinderath geneigt sei, für solche im Sondersiechenhause bis a uf weiteres ein Local in wohn lichen Stand setzen zu lassen, a llwo selbe vor der menschlichen Gesel lschaft während der Kurzeit ganz und sicher abgesch lossen werden können. Drittens jedoch, und das ist der Stre itan laß, müßten die Heil - und Verpflegskosten ,,für die im Sonde rs iechenhause unterzubringenden Syfilitischen nicht wie bisher das Armen-I nstitut, sondern im Sinne des§ 9 des Vertrages vom 5. Juni 1849 die Barmherzigen Schwestern vom 1. September d. J. selbst zu tragen haben". Die Institutsdirektion der Barmherzigen Schwestern zu St. Anna - damalswar der Ordens- und Spita lsseelsorger Mathias Scheibenbogen Institutsdirektor und Schwester Alfonsa Döschel Oberin - reagierte auf d ieses Schreiben sehr gereizt. Mit 30. August 1868 bekam d ie Gemeindevorstehung d ie Antwort auf das Sc hreiben des Bürgermeisters. Die Schwestern zitieren d ie Vertragsbestimmungen 1849, wonach sie verpflichtet wären, a) Mildenversorgungsfondspfründler, b) Armen institutspfründner und c) erkrankte Gesellen des hiesigen Maurer- und Steinmetzgewerbes im Spital St. Anna aufzunehmen, nicht jedoch Siphilitische, d ie bei ihrer Erkrankung diesen drei Kategorien n i c h t angehören - ,,wie z. B. die im Sondersiechenhause derzeit untergebrachte Magdalena Bresenhuber". Am 8. Oktober 1868verlangtedieOberin Sr. Alfonsa von derGemeindevorstehung die Begleichung ausständi ger Verpflegsgebühren, - indem sie den Besch luß des Gemeinderaths ignorierte: ,,Die ergebenst Gefertigte b ittet demnach die Ausbezahlung sowohl der rückständigen als künftigen Verpflegskosten für d ie Nichtpfründnerin Magdalena Bresenhuber gnädigst bewi lligen zu wol len". Um die Differenzen klären zu können, wurden die Barmherzigen Schwestern für den 3. November 1868 zu einem Gespräch geladen, doch lei steten diese der Einladung nicht Folge. 8 Mit 15. Februar 1969 richtete Bürgermeister Josef Pöl tl e ine geharnischte „Note" an das Schwesterninstitut zu St. Anna. DaraufweisterdieSchwestern nochmals darauf hin, daß der Gemeinderat am 7. August 1868 besch lossen habe, die Verpflegskosten der „in der Siechenanstalt behandelten syph ilitischen Kranken nicht mehr vom Armen -I nstitute besonders zu vergüten , sondern ... von den Barmherzigen Schwestern selbst zu tragen seyen". Demungeachtet, so weiter in der Note, werden „aber nach Anzeige der Armen- Instituts Rechnungsführung in den Wochenrechnungen über d ie Siechenverpflegskosten jene für d ie syph ili - tischen Weibspersonen noch immer in Aufrechnung gebracht". Wenn sich die Schwestern auf den Vertrag vom 21. Juli 1865 berufen, so sei dem Institut schon damals, ,,insowe it es die Syphilitischen betrifft, der Vorbeha lt gemacht, daß Bestimmung dieses Paragraphes nur bis auf Weiteres zu gelten habe. Dieser Zeitpunkt ist nach obigen Gemeinderathsbeschluße, vom 7. August 1868, eingetreten". Die Barmherzigen Schwestern wurden eingeladen, sich „längstens b innen vier Wochen entweder zustimmend oder ablehnend schr iftlich zu äußern, wobei „der Gemeinderath keine oder eine ausweichende Antwort als eine ablehnende betrachten wird". Die Antwort der Barmherzigen Schwestern war unmißverständlich. Das Mutterhaus in Wien-Gumpendorf künd igte mit 15. März 1869 beide Verträge, der Gemeinderatnahm diese Künd igung am 2. Apri l 1869 zur Kenntn is. BESORGNISSE IN DER BEVÖLKERUNG Da aber entstand in der Bevölkerung ein gewalt iger Aufruhr, denn das Spita l zu St. Anna wurde, trotz des Streitesum Gu lden und Heller, den der Magistrat mit dem Institut führte, von den Barmherzigen Schwestern bestens betreut, und die Bevölkerung von Steyr wußte dies zu schätzen .Es wurde eine Unterschrittenaktion in die Wege geleitet, und am 19. Apri l 1869 wurde der Gemeindevertretung eine Petition überreicht, d ie von fünfhundert Menschen unterzeichnet war. Darin wurde d ie Bestürzung über die Vertragskünd igung zum Ausdruck gebracht. ,,Wer das ruhmvolle Wirken der Schwestern aus eigener Erfahrung und Anschauung kennt, wer da weiß, daß dieselben mit Aufopferung ihres Lebens vol le 19 Jahre zur vollsten Zufriedenheit gewirkt, und dieses Wirken in neuester Zeit noch erhöht haben, der muß nicht bloß dem im Alpenboten ausgesprochenen Satze: 'das Spita l zu St. Anna ist eine vortreffliche Heilanstalt, und eine der vorzügl ichsten Zierden unserer ura lten kathol ischen Stadt', von ganzem Herzen beipflichten, sondern auch alle seine Kräfte dazu verwenden, daß im Interesse der ganzen Stadt, eine so vortreffl ich geleitete Heil - anstal t, e ine so vorzügliche Zierde der katho li schen Stadt erha lten b le ibe. Daß d ie ehrwürdigen Schwestern gekündigt haben, ist nicht b loß bedauerlich, sondern vie lmehr beklagenswerth, aber wir begreifen vol lkommen, daß es so kommen mußte. Ohne in die leidige Angelegenheit, d ie nun auf einmal als Mißverständniß erscheint, näher einzugehen, erlauben wir uns nur auszusprechen, daß es ganz andere Mittel gäbe, der wachsenden Syphi lis zu steuern, a ls dadurch, daß derartige Erkrankte den Schwestern zur Pflege überwiesen werden. Die in den Verträgen bezeichneten Syphi liti schen zu pflegen, haben sich die Ehrw. Schwestern niemals geweigert." Schl ießlich richten die Unterzeichneten an die „Männer unseres Vertrauens, die im Gemeinderathe die Interessen der Gemeinde die ehrende Aufgabe übernommen haben", die ergebenste Bitte, den Wunsch ihrer Wähler zu erfü ll en und so ba ld als möglich zur vol len Zufriedenheit der Ehrw. Schwestern zu entscheiden, das Referat in andere Hände zu legen und die Ordensvorstehung in Wien zur Zurücknahme der Kündigung zu bewegen. Am 24. Jul i 1868 war bereits eine städtische „Spezia lkommiss ion" mit den Gemeinderäten Schweikofer, Vogl und Gründ ler gebildet worden, die sich mit der Krankenpflege zu befassen hatte und die nunmehr auch mit der neuen Si - tuation befaßt wurde. Die Spezia lkommission gab dem Gemeinderat gegenüber am 22. August 1869 eine ausführliche Stell ungnahme ab, deren Inhalt jedoch nicht gerade geeignet war, das gestörte Verhä ltnis zu den Barmherzigen Schwestern zu bessern. Eingeräumtwurde, daß der Vertrag vom 5. Juni 1849 in mehreren Bestimmungen „den Anforderungen der Zeit, der zunehmenden Bevölkerungszah l nicht entspreche, da mit den Pflichten der Gemeinde-Vertretung als Verwa lterin des milden Versorgungsfondes, und a ls san itätspoli zeiliche Behörde in direktem Widerspruch stehe". Beanstandet wurde, daß bezüglich der Kranken, d ie im Notfall aufgenommen werden sol len, der „Orden vol lständig freie Hand behä lt". Indem bezüglich „der Aufnahme anderer Kranken aber keinen Einfluß zu üben berechtigt ist, ist derGemeinde ei nes der wesentli chsten Rechte entzogen, und ein Zustand geschaffen, der mit den Anforderungen der Humanität in keiner Weise vereinbarli ch ist". Die Gemeinde könne es, wenn „kein rechtloser Zustand bestehen soll, nicht in das Belieben eines Dritten , wie hier in die Diskretion des Ordens setzen, ob der arme nicht transportable Kranke im Spitale der Stadt Aufnahme finde oder nicht". Ergo: die Stadt müsse sich die Verfügung über die Aufnahme der Kranken vorbehalten, und sie hätte sich d ieses Recht auf jeden Fall sichern müssen, auch wenn ihr die Schwestern

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