75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Theaterfragen in den Tageszeitungen genügend Raum zu verschaffen. — Bestehen diese Vorwürfe nun zu Necht, sind die Linzer Banausen und langweilige Philister? Zur gerechten Antwort sei bedacht, daß viele ungünstige Umstände zusammen¬ wirkten, bis dann endlich jenes feste Verhältnis des Publikums zum Theater gewonnen war, dessen sich schon die Direktion Brantner erfreuen konnte. Da waren die Hemmnisse der Zeit: da waren Film und Tonfilm als Konkurrenten elbst der Operette*s), da war die wirtschaftliche Misere der Nachkriegszeit, der Untergang des Bürgertums, das den eigentlichen Theaterstand gebildet hatte, da ehlte die entsprechende Förderung von oben, es gab Zensurschwierigkeiten“4), es mangelte auch an wirklich fördernder Kritik — die Kritik war aufs Negieren abgestellt und hatte ihre volkserzieherische Aufgabe nicht erfaßt, sie hätte die neuen Schichten dem Theater allmählich gewinnen können. Die Geschichte der Kritik ist kein sehr erfreuliches Kapitel der Linzer Kulturgeschichte: vorzüglich war L. Fischer-Colbrie in der „Linzer Zeitung“, die Besprechungen der „Tages¬ Post“ blieben kleinstädtisch, bis um die Jahrhundertwende mit Dr. Karl N. von Görner ein Mann von Urteil kam, das „Linzer Volksblatt“ und das „Tagblatt' brachten es erst in der Nachkriegszeit zu beachtlicher Kritik, jenes unter Doktor F. Pfeffer, dieses unter Dr. E. Koref.45 — Jedenfalls aber war es nicht gelungen, das Thema: Erziehung des Volks, Erziehung der Jugend zum Theater zu lösen, zu viele Menschen wuchsen sozusagen in künstlerischer Wildnis auf und niemand kümmerte sich um diese wesentliche Seite der Volksbildungsarbeit. Die staatliche Förderung des Theaterbesuchs in der nationalsozialistischen Zeit verfolgte Propa¬ gandazwecke und trug zur eigentlichen Heranbildung eines breiteren Theater¬ publikums wenig bei. Gänzlich verkannt wurde die Bedeutung eines lebendigen Verhältnisses zwischen Theater und Schule: einen schwächlichen Versuch in dieser Richtung unternahmen 1935 der Eichendorff-Bund und die Elternvereinigungen.46 Hier scheinen unserer Zeit neue Wege vorbehalten.*“) Mit dem Blick auf alle diese Umstände muß es uns staunenswert erscheinen, daß es die ganze Zeit über doch gelang, Oper, Operette und Schauspiel auf an¬ sehnlicher Höhe zu halten. Die Oper war häufig führend und etwa 1911—14 sogar die zugkräftigste Gattung, es kam vor, daß sich die Presse über ein Zuviel an Oper beklagte 48), die Operette hatte ihr enthusiastisches Publikum auch in den schlechten Theaterjahren 4°), das Schauspiel hielt Niveau, auch wenn es im Schatten der musikalischen Schwestern stand. Welche Fülle von Arbeit ist da 43) Voreilig meint die Tages-Post 1930, Nr. 166, daß man die Operette deswegen schon als eine „gestorbene Kunstgattung“ bezeichnen müsse 44) 1911 z. B. das Verbot von „Glaube und Heimat“, 1914 das Verbot einer Schwaher¬ Uraufführung: es gehört in dieselbe Linie wie dann späterhin das Verbot des Films „Im Westen nichts Neues“ durch die Landesregierung 45) Über die Versäumnisse der Linzer Kritik und ihre nunmehr kultur-sozialen Aufgaben s. Dr. Razinger „Theaterkritik heute", O.-H. Nachrichten 1945, Nr. 137. G. Tages-Post 1935, Nr. 262, „Schule und Theater“. *7) S. Dr. Razinger: Erziehung zum Theater, O.-H. Nachrichten 1945, Nr. 116. 48) Schon 1904, Tages-Post 1904, Nr. 251 *9) Die Begeisterungsfähigkeit der Operettenbesucher nahm bei Benefizvorstellungen oft groteske Formen an. 93

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