75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

um ernster Dichtung zu dienen. Der Spielplan bot Abwechslung und Weite: 1934 brachte die österreichische Erstaufführung der „Goldenen Harfe“ (in der deckenden Wiedergabe durch den Schauspieldirektor W. Dunkl), Lehars „Giuditta“ und Werfels „Juarez“, 1935 Wenters „Kanzler von Tirol“, 1936 die „Heilige Johanna“, 1938 Schillings „Mona Lisa“ und Verdis „Macht des Schicksals“, 1939 Tschaikowskys „Pique Dame“ neben Puccinis „Gianni Schicchi“ und Johsts „Thomas Paine, 1940 Billingers, des sehr geförderten, „Eigant“, den „Rosenkavalier, wie Janeceks „Jenufa“ und Gersters „Enoch Arden“ 1941 Reinthalers „Fremde, Billingers „Gabriele Dambrone“ und Straußens „Salome“, die letzten Jahre Lopes „Schlaue Susanne" und Goldonis „Tugend¬ wache“, den „Florian Geyer“ und einige Stücke Friedrich Forsters, das Jahr 1943 noch Nabls „Trieschübel“, und, als eines der wichtigsten Ereignisse der Linzer Theatergeschichte, die Uraufführung von Knittels „Sokrates“, dessen anti¬ faszistische Jedeologie von den Maßgebenden zum Glück nicht, vom Publikum umso besser verstanden wurde. Im Bestreben, Heimisches zu bringen, kam es zu Leerläufen wie zu den Stücken des Vielschreibers Ortner. Im ganzen konnte das Linzer Theater in den Jahren der Barbarei keine andere Linie verfolgen als das geknechtete Theater überhaupt: viel Aufwand und Mache, und wenig Geist und Gehalt; zur Dirne der Propaganda hat es Brantner nie erniedrigen lassen. Nun hat Viktor Pruscha (ab 15. 11. 1945) die Leitung des Hauses und damit ene Aufgaben übernommen, die sich aus der gefestigten Tradition des Theaters, aus den örtlichen Verhältnissen der musisch noch immer spröden Stadt, sowie aus den künstlerischen und kultur-sozialen Forderungen einer Zeit ergeben, die den Anbruch einer neuen Ara der menschlichen Geschichte bedeutet und zugleich Stunde tiefster österreichischer Besinnung ist. Vor ihm liegen Wirkensmöglich¬ keiten wie vor keinem — aber auch Schwierigkeiten wie vor keinem: das Haus, das immer schon zu klein gewesen, um wirklich rentabel werden zu können, steht nur die halbe Woche zur Verfügung — ein Zustand, der nicht lange zu er¬ tragen ist. Wesentlicher aber als der Wechsel der Männer und der Meinungen ist, was in all diesen Jahren des Linzer Theaterlebens sich gleich geblieben und letzten Endes alle die Aufstiege, alle die Abstürze immer wieder bedingt hat: es sind die positiven Gegebenheiten, deren Verwertung dem einen Direktor mehr, dem andern weniger gelang, und die ihnen etwa die Waage haltenden negativen, die der eine überwand, während der andere an ihnen zugrunde ging. Um vom Günstigen zuerst zu handeln: Oberöstereich ist ein Theaterland, und Linz wäre, normale Entwicklung und einigen Wohlstand vorausgesetzt, eine Theaterstadt; der Menschenschlag hier ist theaterbegeistert und theaterbegabt wie wenig andere; Wien und Salzburg wären ihrer theatralischen Leistungen nicht ähig, strömten ihnen nicht immer wieder aus den österreichischen Ländern neues Blut und neue Kräste zu. Wer ermißt die Zahl der Begabungen, die sich im Land ob der Enns im Dilettantismus verlieren, wer zählt die Vereinsbühnen, die Liebhabertheater, die szenischen Veranstaltungen alle, an denen unser Volk, in echter, ursprünglicher Freude am Mimus, teilnimmt wie an Kult und Liturgie der Kirche! Die große Chance des Linzer Theaters, wirklich ein das Land be¬ pielendes und kulturell erziehendes „Landes“-Theater zu sein, ist noch nie ganz erkannt und nur annäherungsweise verwirklicht worden; meist war es nur der 89

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2