75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Theater. dr. Hubert Razinger. Kraft und Kampf, Spannung und Straffung, Schlag der leidenschaftlich treibenden Handlung und Puls des bewegtesten Lebens, bildstarke Wucht der Szene und drastische Eindringlichkeit gegensätzlichen Dialogs — es sind Elemente des Dramas und sind Elemente Handel-Mazzettischer Dichtung. An den An¬ fängen ihrer Entwicklung zur Poesie steht das Drama: das Schulmädchen Enrica schon las Schiller und Shakespeare und auf ihren empfänglichen Geist wirkten rühe Besuche des Burgtheaters wie der Oper, die ihr noch mehr bedeutete und deren Musik sie zu „Schwärmen von Ideen entzündete.!) Zu ihren ersten dich¬ terischen Versuchen gehörten dramatische Dialoge und Krippenspiele, und die klösterlichen Spiele, die sie als Zögling für das St. Pöltner-Haus geschrieben, haben sich auf dem Spielplan des Internats gehalten. Wenn trotzdem die Ent¬ cheidung des nach der wesenseigenen Form ringenden dichterischen Gemütes nicht das Drama, sondern den Noman errang und fürderhin an ihm festhielt, so mag der Literarhistoriker dies bedauern.?) Sie ist ihrer poetischen Jugendliebe doch treu geblieben, auch in der anderen, umfassenderen Stilform: in jedem Roman der Handel-Mazzetti steckt ein Drama.s) Es ist kein Zufall, daß sich die Dichterin so gern in das wilde Jahrhundert der Glaubenskämpfe begibt — es ist dies auch von der Stimme ihres dramatischen Talents befohlen. Und bezeugen die fast 20 Bühnenwerke und -werklein nicht, daß sie jede der klösterlichen Gelegenheiten, ich dramatisch zu entfalten, mit hoher Freude und starkem szenisch-dialogischem Geschick ergriff, um dort zu sein, wo sie eben doch gern wäre??) Da ist das Vers¬ lustspiel der Zwanzigjährigen „Pegasus im Joch — „Ich ging jeden Abend ins Theater, 's ist doch das Allerschönste auf der Welt!“ heißt es darin — der noch rüher entstandene schwächere Schwank „Diogenes“*), das Weihnachtsstück „Ich kauf ein Mohrenkind“, in dessen Uraufführung?) die Dichterin selbst zum ersten Mal im Leben in der Rolle der Oberin Annunziata die Bühne betrat, der eigen¬ artige Einakter „Der Brief an Nepotian“, eine dramatische Bearbeitung der Epistola ad Nepotianum des hl. Hieronymus, mit warmem sozialen Gefühl?), das lyrische 1) S Joh. Eckardt in „Enrica von Handel-Mazzettis geistige Werdejahre“, 1911, 6. XI. 2) Etwa wie J. V. Widmann schon im Motto des obigen Sammelbandes, oder Joh. Ranftl in der Einleitung zu „Napoleon II. usw.“, 1912, S. XI. 3) S. die Dramatisierungen z. B. der „Armen Margaret“, etwa von F. 6. Hartmann 1911, oder von A. Friedmann 1912, dann das Fragment eines Opernbuchs „Herlibergs Tod“ von der Baronin selbst (1911); der Film wird gewiß noch auf die drastischen Stoffe dieser dramatisch geladenen historischen Romane zurückkommen Die Stücke liegen in vier Sammelbänden vor: „Enrica von Handel-Mazzettis geistige Werdejahre“, Ravensburg 1911, Neue Folge davon 1912, in „Napoleon II. und andere Dichtungen“, Berlin 1912 und in „Weihnachts- und Krippenspiele“, Berlin 1912. Von Wiener Vereinsbühnen 1904 uraufgeführt. 1904 St. Petrus Claver Sodalität in Wien. 7) Verfaßt zum silbernen Priestersubiläum des Domherrn Dr. Gustav Mäller. 85

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