75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

„Dein schuldlos Lied wie aus des Vogels Kehle, so treu und schlicht und wahr in seinem Kerne, wir wollen's hegen und es nicht verschweigen, den was wir lieben, bleibt uns stets zu eigen. 3. Maurice Reinhold von Stern und Enrica von Handel=Mazzetti. Reinhold von Stern, ein Balte, wurde am 3. 4. 1860 zu Neval als Sohn des Dichters Karl Walfried von Stern geboren. Seine Mutter stammte von dem Bruder des bekannten livländischen Patrioten Johann Neginald von Patkul ab, der 1707 von dem Schwedenkönig Karl XII. als Märtyrer seiner Gesinnung und Überzeugungstreue hingerichtet wurde. Das Geschlecht der Patkul erlosch im Jahre 1916 mit der 90jährigen Mutter unseres Dichters. Enrica von Handel-Mazzetti hat diesem livländischen Patrioten in ihrem Roman „Frau Maria“ (I. Bd., S. 93 ff.) ein herrliches Denkmal gesetzt. Die Familie Stern war Erbin aller Patkul-Reliquien. Neinhold von Stern stellte der Dichterin das „Patkul-Gedenkbuch“ (Memorial) für ihre künstlerischen Zwecke zur Verfügung. Es sollte ihr „ein möglichst unmittelbares und lebendiges Bild des großen Livländers vermitteln, so wie es sich in der lebendigen Familien¬ Tradition erhalten hat". (Brief vom 12. 1. 1929.) In einem weiteren Ge¬ dankenaustausch veranlaßte Handel-Mazzetti Neinhold von Stern, die Aufmerk¬ amkeit der breiteren Öffentlichkeit auf Reginald von Patkul durch einen Essay im „Neuen Reich“ (Wien 1929, Nr. 45 — 47) zu lenken. Dieser Gedankenaustausch war für beide Teile von besonderer Bedeutung, er führte zur geistigen Freundschaft der katholischen Dichterin Handel-Mazzetti mit dem protestantischen Dichter Reinhold von Stern. Er selbst sagt im Briefe vom 17. 12. 1929: „Patkul danke ich die für mich so folgenschwere und bedeutsame Begegnung mit Ihnen. Der weitgereiste Balte führte damals als „Einsiedler“ in Höflein, dem kleinen Dorfe an der Nodel bei Ottensheim, ein verborgenes Leben.In humor voller Laune schildert sich Stern selbst im Briefe vom 17. 8. 1929: „Für Euch alle bleibe ich zeitlebens der „Zubigrennte', der herrenlose Balte, der vagierende, vazierende „Zigeuner des Nordens“. Ich war ein halber Knabe, als ich meine baltische Heimat auf Nimmerwiedersehen verließ, in Oberösterreich lebe ich schon 31 Jahre (seit 1898). Ich bin östereichischer Staatsbürger und zuständig in der Gemeinde Ottensheim. Aber als obderennsischen Dichter und Schriftsteller wollt Ihr mich doch nicht gelten lassen. Ja, wohin gehöre ich denn eigentlich? In das Baltikum, das für mich ein verlassener Friedhof ist? Ja, wenn ich — — in Timelkam, Putzleinsdorf oder Rauhenöd geboren wäre! Stern hat in das oberösterreichische Literaturleben der Zeit vor dem ersten Weltkrieg machtvoll eingegriffen durch seine wundervolle Lyrik, durch seine fein¬ sinnigen Kritiken („Typen und Gestalten moderner Belletristik und Philosophie, 81

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