75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946
wollte sie es bezeichnen als „Novelle aus dem Landlerkrieg“. Aber diese Novelle ist weit über den zuerst gedachten Nahmen hinausgewachsen zu einem wunder¬ amen Sang vom oberösterreichischen Bauernkrieg. Man darf es ohne Über¬ treibung so nennen. Der Bauernkrieg wetterleuchtet durch den ganzen Noman. Er enthält nicht etwa eine Schilderung oder Erzählung der Ereignisse dieses für das Land ob der Enns schrecklichsten Krieges vor mehr als 300 Jahren. Seine stoffliche Grundlage bildet nur eine Episode der Nachkriegszeit, entsprossen dem Boden der blutgedüngten Landlererde. Diese Dichtung hängt mit Hanrieders Bauernkrieg nicht zusammen. Handel¬ Mazzetti kannte diesen Sang noch nicht, als sie 1907 im Geiste „Die arme Margaret“ konzipierte. Aus Stieves Darstellung des Bauernkrieges entnahm sie die Namen, die dort meist ohne Fleisch und Blut waren, sie gab diesen Namen Leben. Sie versenkte sich in das ganze Geschehen des Aufstandes, in die Volks¬ psyche der Landler und vor allem in die der Steyrer Leute zur Zeit nach der Unterdrückung der Nebellion. So entstand das Lied von dem starken Kriegs¬ helden Herliberg, der sündig wird, das Lied von der glaubensstarken Mayrin, die ihre Unschuld den roh zugreifenden Fäusten des Recken entwindet, das Lied des eine Schuld bekennenden Mannes und der mütterlichen Liebe der reinen Frau. Der Noman „Die arme Margaret“ ist in seinem Aufbau und innerem Ge¬ üge ausgezeichnet durch straffste Komposition, durch leidenschaftliches Pathos, durch genaueste Kenntnis der Heimatgeschichte. Er hat an Wirkung seit der Zeit seines Erscheinens, seit 36 Jahren in keiner Weise eingebüßt. Ich erinnere mich noch an die Ergriffenheit, mit der ich 1909 Monat für Monat den Noman in der „Deutschen Rundschau“ in mir aufgenommen habe. Und als ich ihn jetzt für die Bearbeitung als „Volksausgabe“ genauestens durchsah, war der Eindruck kein geringerer. „Die arme Margaret“ ist und bleibt eine Perle unter den Dichtungen Handel-Mazzettis. 2. Enrica von Handel=Mazzetti und Edward Samhaber. Enrica von Handel-Mazzetti hat selbst ein wahrhaft schönes Erinnerungsbild ihrer Freundschaft mit unserem lieben Samhaber nach dessen Tode gezeichnet, das sie in der Zeitschrift „Schönere Zukunst“, II. Ig., Nr. 29 und 30, veröffent¬ lichte. Sie schreibt: „An einem rosigen Spätnachmittag 1921 ist Edward Sam¬ haber das erstemal in meinem Salon gesessen, der gebeugte, zarte Greis mit dem wachsfarbenen Patriarchenhaupt, dem schneeweißen Haar, der scharfen Adlernase und den blauen Augen, deren durchdringender Glanz etwas Geheimnisvolles, Seherisches an sich hatte. 74
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