75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946
Was historisch getreu geschildert werden mußte, sollte ich nicht dem Bewußt¬ sein des Volkes und der Wahrheit der Forschung nahe treten, habe ich doch mit den frei erfundenen Partien des Gedichtes in eine Verbindung zu bringen ver¬ sucht, die ungezwungen erscheinen dürfte. Lambel hat eben nur von einem Standpunkt aus geurteilt, und wenn auch scharf, so doch recht geurteilt. Er mußte es auch tun, weil er darum angegangen wurde. Er machte es aber dabei wie der unerbittliche Steuerexekutor, der eben das Geld auch dort eintreiben will, wo keines zu haben ist, und das arme Opfer pfändet; während die Umstände anzuklagen sind, die einen Erwerbsfähigen un¬ zahlungsfähig machen. Ich habe seine Ausführungen beherzigt, wo es möglich war, und kann mir selber nachsagen, daß ich aus fremdem Tadel Vorteil zu ziehen imstande war. Wenn einmal das Ganze der allgemeinen Beurteilung vorliegen wird, dürfte man darüber kommen, wieviel Mühe sich der Autor gab, nebst dem historischen auch dem ästhetischen Gesichtspunkte zu entsprechen. Gegen Stieve, der in seinem vortrefflichen Werk trotz aller scheinbaren Parteilosigkeit die „bayrische Schinderei wo nicht abzuleugnen, so doch möglichst zu vertuschen sucht, habe ich erstens die Aufschrift der Bauernfahne und zweitens das Faktum für mich, daß sich die Bauern jederzeit „bequemten', aber immer wieder zu den Waffen griffen, sobald ein neuer Einfall von Passau ruchbar wurde. In ihren Beschwerden haben freilich die Bauern manchmal die Gefährdung der Neligion vorausgestellt, aber den Sack schlägt man und die Katze meint man, das heißt, die Idee muß herhalten, um die praktische Frage zu decken. Es gibt auch Beschwerdeschriften, wo der „Graf“ und die bayrische Willkürherrschaft als Klagepunkte voranstehen, sowie es ausgemacht ist, daß im Bauernlager der Katholik ebensowohl zu treffen war wie der dem Lutheraner ungleich mehr ver¬ haßte Calviner. Stieve hat mit Recht Keims Fadinger-Lied angegriffen, weil der das reli¬ giöse Motiv gänzlich beiseite ließ. (Stieve, II. Bd., S. 66.) Ich glaube, nach beiden Seiten hin gerecht zu sein. Die Person Berndls habe ich noch mehr zur Geltung zu bringen gesucht und dem Liebesleben Hedwigs, das Herrn Weitzenböck gar so leidenschaftslos erscheint, einige Züge angehängt, um sie ihm sympathischer zu machen. Auch der Student kommt noch mehr zur Geltung. Eine Streitsache zwischen Weitzenböck und mir habe ich dadurch beigelegt, daß ich den unumgänglichen historischen Exkurs des ersten Gesanges von diesem losgeschält habe und als „Ausblick“ dem „Vorspruch folgen lasse. Dafür bringe ich den Huterer gleich im ersten Gesang in Aktion, indem ich ihn in Lembach am bewußten Bittsonntag feilhalten und dabei das politische Geschäft besorgen lasse. Damit ist seine Person, die früher erst mit dem dritten Gesang aufscheint, schon zum voraus engagiert und bleibt es bis zum zehnten, während sein Begräbnis im 14. Gesang ihn nochmals vorführt. In der Sprache habe ich nichts geändert und auch den altdeutschen Vers als den beweglichsten beibehalten. Ich habe, wie Lambel selbst sagt, ein Werk, ohne Vorgeher in dieser Art zu haben, versucht. Es ist etwas Apartes nach Sprache und Inhalt und erforderte daher auch seine aparte Behandlung. Wer die Sprachschwierigkeiten ahnt und den spröden Stoff sich vorhält, wird mir schlie߬ 72
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