75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Das Resume ist: Eine Hauptperson ist in der Weise wie beim Drama beim Epos nicht zu fordern, sondern nur wünschenswert; bei historischen Stoffen oft geradezu unmöglich Darüber war ich mir klar, als ich meinen Bauernkrieg im Kopf durch¬ arbeitete. Mein Held tritt mitten in der zu behandelnden Zeitepoche vom Schau¬ platze ab. Hätte er die Katastrophe miterlebt, so würde mein Epos „Fadinger“ und nicht „Der Bauernkrieg“ sich nennen. Den notwendigen Hauptgegenstand hatte ich, aber nicht die wünschenswerte Hauptperson. Gleichwohl reizte mich der Ehrgeiz, die Person Fadingers so zu verwerten, daß er immerhin als Hauptheld gelten konnte, indem ich ihn zum Kern der Dichtung machte (3., 4., 5., 7. Gesang) und auch im 6. Gesang ihn gebührend als das eigentliche Agens nebenher wirken lasse. Ich bereitete daher absichtlich im 1. und 2. Gesange auf ihn vor, beging im 3. Gesang absichtlich die historische Unwahrheit, die Schlacht von Peuerbach von ihm und nicht von Zeller leiten zu lassen, und kann es dem unbefangenen Beurteiler nicht entgehen, daß auch die vier letzten Gesänge mit bewußten Beziehungen auf „Fadinger' versehen sind. In diesem Punkte fühle ich mich also schußfest, da ich zur Vorsorge für solche, die Apartes haben wollen, in der Doppelperson des Studenten ein Ersatz¬ Gurrogat für den „Haupthelden“ geschaffen und in ihr das Doppelgesetz des Geistes und Leibes, von welchem schon St. Paulus spricht, entwickelt habe. Es hat mich auch freudig überrascht, meine Intention durch Zötl aufgefaßt zu sehen, der wörtlich schreibt: „Mit der Urwüchsigkeit (der bäuerlichen Helden) verbrüdert sich die Verstandeskraft in den beiden Studenten mit ihrer zwiefachen Nichtung: der idealistischen und der realistischen“. Dafür war ich gefaßt, auf Kompositionsfehler aufmerksam gemacht zu werden oder auf die Unzulässigkeit mancher Szenen (z. B. 4. Gesang, wie ziemlich unnötig Luther hineingezerrt wird) mich hinweisen lassen zu müssen. Es mag auch manchen als Caprizzio erscheinen, daß ich dem Doppelstudenten auch eine doppelte Hedwig gegenüberstelle. Ich kann vielleicht auch in der Abneigung gegen den Schinder Herberstorf mit der Fixierung seiner Charaktereigenschaften zu weit gegangen sein. Diese und ähnliche Vorwürfe hätte ich mir erwartet, aber jenen über den Mangel einer Hauptperson nicht. Ich habe auch nachträglich noch die Urteile der maßgebendsten Asthetiker eingesehen und das eigene überall bestätigt gesehen. Was die Sprache anbelangt, so mußte ich mich für die richtige Mitte zwischen Bauernsprache und städtisches Idiom entscheiden, wenn ich nicht unverständlich oder sentimental werden sollte. Wie strenge ich vorging, mag der Hinweis dartun, daß im ganzen Gedicht nicht ein einziges Imperfekt vorkommt, während unsere Salon¬ Dialekt-Dichter sich desselben ganz ungescheut bedienen. Johann Martin Usteri's „De Vikari' und „De Herr Heiri' sind doch nur Idyllen, wenn auch die prächtigsten, die es geben kann. Fritz Reuters Schöpfungen sind humoristische Erzählungen, Klaus Groths Poemata sind Kultur-Studien und unser geliebter Stelzhamer hat mit seiner unübertrefflichen „D'Ahnl' auch nur eine Geschichte aus dem Volke gewählt, während er das Zeug gehabt hätte, die Geschichte des Volkes selbst darzustellen. Da kommt nun einer aus dem Mühl¬ viertel und will ein Epos schreiben: ein Epos für das Volk, ein Epos in alt¬ deutscher Form der Hebungen und Senkungen, ein Epos in der Mundart, ein 70

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