75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

denn überhaupt nach dem glücklichen Vorgang Stelzhamers und besonderen Eig¬ nung unseres Dialektes zu diesem antiken Metrum lange darauf beharren wollte. Freilich regte sich dagegen so manches Bedenken und klangen mir namentlich die altdeutschen Hebungen und Senkungen wie eine Anklage des nationalen Selbst¬ gefühls in den Ohren. Gegen diese Klänge der Vorzeit erhob sich das moderne Rhythmus-Bewußt¬ sein, der mit der Figuralmusik der Gegenwart angelernte Takt (welcher nicht bloß dem Choral, sondern auch der Dichtung des Mittelalters fehlt), schließlich gewann dennoch Ihre Ansicht die Oberhand, und obwohl ich schon einiges in Strophenform gebracht, griff ich zu den 4 Hebungen, die die mannigfachste Behandlung zulassen. Freilich mußte ich mich hiezu fast zwingen und wollten mir immer entweder nur rein jambische oder rein daktylische Verse unter die Feder. Freudig bewegt antwortete Weitzenböck am 5. 3. aus Graz: „Da kommt von Ihrer Hand gesandt ein Bote voll Ihrer eigentümlichen Herzensgüte und beschämt mich wieder durch das deutsche offene Vertrauen, das ich vor mir selber nicht als verdient zu erkennen vermag. Und er bringt mir als eine schöne Gabe den ersten Gesang Ihrer größeren Dichtung. Darüber muß ich nun sogleich meine Freude äußern, daß Sie die Form sehr glücklich getroffen haben, wenn ich meiner Empfindung trauen darf. Das ist ja die älteste deutsche Erzählungsform, die bis heute volkstümlich geblieben ist. Sie ist so vieler Wirkungen fähig Den Hexameter abgelehnt zu haben, wird und darf Sie gewiß nicht reuen. Er ist für das Volk fremd wie der Stabreim. Warum übrigens unser Dialekt sich besonders für ihn eignen sollte, ist mir unklar. Und was tun wir denn anders mit dem Hexameter, als einen sechshebigen Akzentvers bilden? Nur begeben wir uns damit erstens des für unsere volkstümliche Poesie unentbehrlichen Endreims, zweitens der oft wirksamen Ausdrucksmittel, die uns der Auftakt und der Vers¬ schluß gewähren. Also herzlich glückauf zu der Befreiung von der griechisch¬ lateinischen Impfung! Unverhohlen spreche ich die freudige Erwartung aus, daß es Ihrer erstaun¬ lichen Gewandtheit in der Behandlung der Form, Ihrer Meisterschaft in der Mundart, Ihrer feinen Künstlerschaft gelingen wird, das Werk zum Gelingen zu führen. Schon aus den ersten Versen habe ich erkannt, daß Sie der Antiquitäten¬ krämerei aus dem Wege gehen. Das Publikum für diese Dichtung ist nun einmal das Landvolk, und nur, wenn sie diesem gerecht wird, kann sie vor jedem ästhe¬ tischen Gericht bestehen. Die erste Niederschrift des Epos erfolgte in den Jahren 1888 — 1893. Zu¬ nächst entwarf Hanrieder den ersten und zweiten und gleichzeitig auch den letzten Gesang, um, wie er sich im Briefe vom 22. 3. 1889 ausdrückte, den Nahmen anzufertigen, innerhalb welchem das Gemälde Platz haben sollte. Am 21. 1. 1890 berichtet er: „Ich habe meinen Bauernkrieg bis auf den 4. Gesang fertig und gedenke bis Mai, wo sich die große Erhebung von 1626 jährt, das ländliche Epos beenden zu können.“ Im Sommer waren Dr. Zötl und Primarius Dr. Schnopfhagen Hanrieders Gäste. Die Aussprache galt auch dem Bauernkrieg. Es gab noch manches zu ändern, so daß tatsächlich erst im Jänner 1894 das Manuskript als abgeschlossen gelten konnte. Ich möchte noch das Urteil anführen, das Dr. Zötl bereits am 1. 1. 1892 nach der Lektüre des Bauernkrieges an Hanrieder geschrieben hat: 68

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