75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

voller Tag, prächtige Landschaft, harmonierende eigene Stimmungen und dazu noch der Vortrag dieses wahrhaftigen Jüngers Christi, atmend tiefe Wahrheit und Lebensweisheit und dann wieder übersprudelnd im köstlichen Humor! Es war rührend anzusehen, wie dieser Mann, die Bescheidenheit selbst, mit stiller Herzensfreude seinen nach Materien wohlgeordneten Schatz in der geöffneten Schublade überblickte, um dann aus den einzelnen Päckchen sorgsam einzelnes herauszulangen und vorzutragen. * * * Waren wir bei unserem Eintritt Fremd¬ linge, so schieden wir als die besten Bekannten — ja, ich durfte beinahe sagen, als Freunde voneinander — und das Bindband in Form einer Anzahl seiniger Gedichte, die er uns zur Ausgabe zur Verfügung stellte, folgte bald nach.“ Hier war auch die geistige Geburtsstätte für Hanrieders Bauernkrieg. Dies zeigt der Brief Zötls an Hanrieder vom 10. 12. 1885, vollendet am 8. 1. 1886: „Es handelte sich um die Frage, wie weit man in der Pflege des Dialektes gehen könne oder solle und welche Stoffe in der Mundart dichterisch bearbeitet werden können und ob namentlich ein größeres Epos — beispielsweise eines, welches den Stephan Fadinger zur Grundlage hätte — mundartlich und wie sonst, wenn nicht rein hochdeutsch, zu behandeln wäre. Und die Herren Professoren Weitzenböck, Matosch, Commenda und der scharfsinnige Dr. Schnopfhagen und Zötl waren in dieser Frage, so warme Vertretung auch allseits die Mundart fand, doch nicht unter einen Hut zu bringen. Doch neigte die Grundstimmung der Bejahung dieser Frage zu — jedoch mit der gewichtigen Reserve, daß nur ein Nachfolger Stelz¬ hamers diese Arbeit mit durchschlagendem Erfolge leisten könnte und daß ein besonderes Versmaß gefunden werden müßte. Es wurde in ersterer Nichtung auf das „Mahrl vom Taod“ (Stelzhamer, I. Bd., S. 232 ff.) hingewiesen, das zeige, daß auch in der Mundart Gewaltiges zur vollsten Geltung gebracht werden könne. Unmittelbare Veranlassung dieser begeisterten Debatte war ein allerliebstes, stimmungsvolles Stelldichein, das am Nachmittage bei dem Dichter und Priester¬ greise Purschka stattgefunden hatte und wozu sich auch der 74 jährige Jüngling Moser eingefunden hatte. Schon im Briefe vom 11. 1. 1886 an Zötl spricht Hanrieder darüber, was man in der Mundart behandeln kann: „Wer das „Stille Nacht, heilige Nacht', wie es geschehen ist, in den Dialekt überträgt, greift ebensoweit über das natür¬ liche Gebiet hinaus als derjenige, der abstrakte Wissenschaft in das Kleid des Dialektes hüllen will; für beide Stoffgattungen fehlt es dem Dialekt am richtigen Ton, für die letzte sogar auch am Ausdruck. Was dazwischen liegt, also das Leben, ob lustig oder traurig, ob idyllisch oder dramatisch hervortretend, ob lyrisches Einzelgefühl anregend oder den epischen Ton der Allgemeinheit verlangend, ist ebenso gut Domäne der Volkssprache wie des Hochdeutschen Stephan Fadinger und seine Zeit episch zu behandeln — das wäre so etwas; doch glaube ich, daß es unserer Zeit an dem unbefangenen Blicke gebricht, den man hiezu von nöten hätte. Damals arbeitete Hanrieder an der Vollendung seiner „Mühlviertler Mahrl“: „Der Barde des Mühlviertels zu werden, ist ein bescheidenes, aber doch immerhin respektables Ziel“. In diesem Jahre stand Hanrieder bereits in einem lebhaften Briefwechsel mit Professor Georg Weitzenböck. Am 1. 11. 1886 schrieb dieser aus Graz an Hanrieder über ein „Bauerkriegs-Epos“: „Ich halte den Plan auch heute für ausführbar; ja erwünscht und zeitgemäß wäre er. Allerdings 66

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