75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946
Menschenopfern trieb und des Gallneukirchner Pfarrers Martin Boos, dessen Anhänger später im Protestantismus aufgingen. Den letzten Rest der alten Zeit brachte die Revolution des Jahres 1848 — keine lokale sondern eine europäische Bewegung — ein Ende. Die Aufhebung des Untertanenverbandes und der bisher bestandenen grundherrschaftlichen Verwaltung setzte an die Stelle der alten landständischen Kultur und Wirtschaft den bürgerlichen Weltliberalismus. Die Staatsverwaltung wurde von Grund auf anders gestaltet und hat sich in den damals geschaffenen Zügen im Wesentlichen bis heute erhalten und bewährt. Nach einer Zeit des Überganges beschritt man mit dem Oktober - Diplom des Jahres 1860 und dem Februarpatent von 1861 die Bahn des verfassungsmäßigen Lebens, das sich im Parlament und den Landtagen abspielte. An die Stelle der alten ständischen Schichtung traten nun die politischen Parteien; die Staats¬ grundgesetze sicherten jedem Einzelnen seine persönlichen staatsbürgerlichen Freiheiten. Mit dem Einbau in den modernen Großstaat der österreichisch-ungarischen Monarchie verschwindet seit 1850 die eigenstaatliche Entwicklung der früheren Länder, die jetzt nicht bloß die Person des Herrschers allein sondern eine allge¬ meine Staatsverfassung und einen einheitlichen Wirtschaftsraum miteinander ver¬ band. Die Landesgeschichte im engeren Sinn schließt daher mit dem Jahre 1850 ab. Trotzdem ist es bezeichnend, daß sich die alten österreichischen Länder noch immer als die geeignetste Grundlage für den innerstaatlichen Aufbau erwiesen, da der stets mehr vordringende Nationalstaatsgedanke ffür die auf den uni¬ versalen Gedanken des alten Reiches beruhende Donaumonarchie sich lediglich als ein zersetzendes Element erwies. Und selbst als die Donaumonarchie nach dem Weltkriege 1918 — — sehr zum Schaden des europäischen Gleichgewichtes in Stücke zerrissen wurde, blieben innerhalb der kleinen österreichischen Republik — die im Wesentlichen die alten Erblande, wie sie um 1500 beisammen waren, um¬ faßte — wiederum die Länder eine im staatlichen Leben nicht wegzudenkende Ein¬ richtung, welche der Wesensart des österreichischen Volkes, das in jeder Hinsicht eine individuelle Gestaltung des öffentlichen und privaten Lebens der allgemeinen Gleichmacherei vorzieht, am besten entspricht Wenn wir die mehrtausendjährige Geschichte unseres Heimatlandes vor unseren Augen vorbeiziehen lassen, so erscheint uns trotz seines wechselvollen Schick¬ sales, der furchtbaren Leiden und Kämpfe, die seine Bewohner durchmachen mußten, immer wieder die Liebe zu dem angestammten Heimatboden, der bis zur Aufopferung gehende Wille, dieses schöne Stück Erde gegen alle, die ihm seine Freiheit und seine Eigenart nehmen wollen, zu verteidigen, als das hervorragendste Kennzeichen unserer Geschichte. Und noch ein Zweites: Seit mehr als 700 Jahren bilden Österreich und das Land ob der Enns eine unzertrennliche Gemeinschaft, bildet Oberösterreich den Ausgangspunkt und die Schlüsselstellung für die Be¬ hauptung jenes Staats, der im Herzen Europas die abendländische Kultur mit seinem Geist verbreitet und für ihre. Erhaltung uneigennützig die größten Opfer an Gut und Blut gebracht hat. Als Grundlage für die Abfassung des obigen Aufsatzes dienten hauptsächlich folaende Werke: K. Willvonseder, „Oberösterreich in der Urzeit“ (1933); N. Egger, „Die österreichischen Länder im Altertum“ in: Österreich (1937); I. Zibermayr, „Norikum Baiern und Österreich“ (1944); F. X. Pritz, „Geschichte des Landes ob der Enns“, 2 Bde. (1847); K. Eder, „Glaubensspaltung und Landstände in Österreich ob der Enns 1525—1602 (1936); F. Stieve, „Der oberösterreichische Baueraufstand des Jahres 1626“, 2 Bde. (1905); L. Edlbacher, „Landeskunde von Ober¬ österreich (1883). 64
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