75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

und Bauernkriege sind so untrennbar miteinander verbunden, daß eine reinliche Scheidung der einzelnen Belange weder den Zeitgenossen noch der späteren Ge¬ chichtschreibung möglich war und ist. So sehr es die Bauern waren, die in ihren Beschwerdeschriften die Verhinderung des „reinen Wortes“ als eine der Haupt¬ ursachen ihre Unzufriedenheit hinstellten, waren doch in Wirklichkeit nicht sie, ondern ihre Herren, der Adel, die eigentlichen Träger und Führer im Kampfe um die Verbreitung der Lehre Luthers. Dieselbe Bauernschaft, welche dem Adel in religiöser Hinsicht bedingungslose Gefolgschaft leistete und die Hauptlast des Kampfes um den neuen Glauben au ich nahm, litt unter dem stets schwerer werdenden wirtschaftlichen Druck ihrer adeligen Grundherren. Der beste Anwalt gegen diese Ausbeutung seitens der „oberen Stände“ war der gleiche Landesfürst, dem die Bauern als fanatische Anhänger des Luthertums mit der Waffe in der Hand entgegentraten. Umgekehrt waren Adel und Landesfürst, in politischen und religiösen Fragen die erbittertsten Gegner, beide daran interessiert, das Streben des gemeinen Mannes nach sozial¬ revolutionären Veränderungen zu unterdrücken. Das Bürgertum in den Städten die religiöse Neuerung eine bildete wohl mit Adel und Bauernschaft in Bezug auf esthaltenden Landesfürsten, einheitliche Front gegen den an der alten Kirche Bauern verbunden und war fühlte sich in wirtschaftlicher Hinsicht vielfach mit den in dieser Beziehung sogar oft auf den Schutz des an seiner Steuerleistung inter¬ essierten Landesfürsten angewiesen. Ebenso zwiespältig war die Stellung des Prälatenstandes, der wirtschaftlich ausgesprochen zu den Grundherrschaften gehörte und auch politisch, soweit es die Mitherrschaft der Stände am Landesregiment betraf, sich zum Adel hingezogen fühlte, aus relgiösen Gründen aber den schützen¬ den Arm des Landesfürsten benötigte. In den Anfängen der Reformation bildeten die Städte den Ausgangspunkt der neuen Lehre. In Linz gab im Jahre 1524 ein deutscher Schulmeister luthe¬ rische Bücher heraus, zu Steyr, das von Anfang an die Hochburg des bürgerlichen Protestantismus war — im Gegensatz zu Linz, wo die Landstände dominierten — predigte der Mönch Calixt den neuen Glauben. Während über diesen der Bürgermeister und Rat von Steyr ihre schützende Hand hielten, geriet der in Waizenkirchen wirkende Leonhard Kaiser in die Gewalt des Bischofs von Passau und wurde zur Abschreckung nach dem mittelalterlichen Ketzerverfahren hingerichtet. Den Schlüssel für den Ausgang des Prozesses bilden die überaus gespannten Beziehungen zwischen dem Land ob der Enns und dem Bistum Passau, wozu die alte Feindschaft mit Baiern auch noch beitragen mochte. Die erste große Woge der Erregung, die große allgemeine Bauernerhebung in Mittel- und Süddeutschland 1524/25 hatte auch das Land ob der Enns erfaßt, doch kam es hier zu keinen größeren Gewalttaten. Der Aufstand wendete sich aus wirtschaftlichen Gründen gegen die Grundherrschaften und in den Versammlungen der Bauern wurde kein Wort über das „Evangelium“ gesprochen. Erst in dem Gutachten der weltlichen Stände (7. Juni 1525) „wie man die Empörung stillen könne“ war davon die Rede. Die adeligen Landstände behaupteten nämlich, die Unruhe sei nur durch die „Schwarmgeister“ verursacht und könne am besten durch die Verkündigung des reinen Evangeliums beseitigt werden; sie wollten den Landesfürsten dadurch veranlassen, die Lehre Luthers als im staatlichen Interesse gelegen zu gestatten. Unter den Schwarmgeistern war hauptsächlich die Täufer¬ 51

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