75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

werden. Desgleichen vermehrt man die Marinestationen an der Donau und zieht einen Teil der Kriegsindustrie wie die Schildfabrik in Enns direkt an die große Heerstraße. Der nahende Verfall des Nömischen Weltreiches kann aber damit nicht auf¬ gehalten werden; langsam aber sicher beginnt sein Raum an der Donau abzu¬ bröckeln. Carnuntum bei Wien ist schon um 370 verfallen, um 395 überschreiten die Markomannen und Quaden die Reichsgrenze, 408 steht Alarich mit seinen Goten in Kärnten, um 431 erscheinen die Hunnen an der Ostgrenze Norikums. Die im Gefolge Attilas stehenden germanischen Stämme werden nach seinem Tode (453) frei und beginnen weiter zu wandern. Im Nordosten Niederösterreichs ilden die Rugen einen germanischen Staat mit der Hauptstadt Krems; die bisher este Scheide der Donaugrenze wird verwischt und die frühere Verbindung wieder hergestellt. Da in dieser Zeit die Gestalt des christlichen Glaubensbotens Severin als führende Persönlichkeit in den umwälzenden Geschehnissen hervortritt, müssen wir nunmehr ein wenig zurückgreifen, um die spärlichen Nachrichten über das erste Auftreten des Christentums in unserer Heimat nachzuholen. Die Mission des Ehristentums fand mit dem bunten Völkergemisch der römischen Heere den Eingang auf dem Boden Österreichs; zwei Hauptzentren bildeten — wieder be¬ — den Ausgangspunkt: zeichnend für die Überschneidung der kulturellen Zonen Sirmium im Osten und Aquileja im Süden. Um 300 war jedenfalls auch hier das Christentum in die Kreise des hohen Beamtentums eingedrungen wie uns die Leidensgeschichte unseres bodenständigen altchristlichen Blutzeugen Florian beweist, der damals Bürovorstand (Amtsdirektor) von Ufernorikum war und in St. Pölten im Ruhestand lebte; er bekannte sich in Lauriacum vor dem Statt¬ halter Aquilinus als Christ, worauf er zum Tode verurteilt, zuerst gefoltert und dann mit einem Steine um den Hals in die Enns gestürzt wurde (304 n. Chr.). Der Legende zufolge hat man seinen Leichnam an der Stelle, wo sich heute das Stift St. Florian erhebt, begraben. Über die weitere Geschichte des Christentums haben wir keine näheren Anhaltspunkte. Aus der durch mittelalterliche Fälschungen stark entstellten Überlieferung läßt sich nur durch einen Vergleich mit der staat¬ lichen Verwaltung, an die sich die kirchliche Einteilung damals genau anlehnte schließen, daß in Lauriacum ein Metropolitansitz war, dem in den Stadtbezirken von Juvavum-Salzburg, Ovilava-Wels und Favianae-Mautern je ein Suffragan¬ bischof unterstand. Kehren wir wiederum zu der Schilderung der Verhältnisse in der Zeit des hl. Severin zurück, von dem in der von seinem Schüler, dem späteren Abte Eugyppius (+ 511) verfaßten Lebensbilde ein einzigartiges Dokument zur Ge¬ schichte der Völkerwanderungszeit in unserer Heimat überliefert wurde. Im Osten Oberösterreichs herrschten damals, wie wir schon gesehen haben, die Rugen; von Westen drängten die Thüringer und Alemannen herein, vor denen sich die römische Bevölkerung nach Lorch flüchtete und sich unter der Führung Severins unter den Schutz der Rugen begab. Odoaker, der als germanischer Heerführer im Frömischen Solde im Jahre 476 Herrscher in Italien geworden war, versuchte trotz der Besetzung der südlichen Alpen durch die Goten an seinen Ansprüchen auf Ufer-Norikum fest¬ zuhalten und stieß hier mit der Einflußzone Ostroms zusammen. Als er einen Feldzug gegen Ostrom vorbereitete, beseitigte er zuerst den damit verbündeten 40

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