75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Steyrer Gelehrten, der als Geschichtschreiber Kaiser Maximilian des Ersten und als gekrönter Poet an Dürers Niesen-Holzschnittwerk der „Ehrenpforte“ beteiligt war und sich als Mathematiker und Astronom mit dem Nürnberger Meister zur gemeinsamen Schöpfung von Sternbildertafeln verband; ich könnte ihn mir denken, wie er dort in der Geborgenheit des schönen Hauses in eine Schrift des Peuerbachers, seines älteren Landsmannes, vertieft ist, um die Schwingen seines jungen Geistes zum Höhenflug in den gestirnten Himmelsraum zu stählen; und ich könnte ihn mir denken, wie er aus dem dämmerdunklen Torflur in das Licht des Abends tritt, das über den Platz hin schimmert, und wie er seine Schritte nach der engen, steilen Gasse lenkt, die zu Hans Puchsbaums immer höher wach¬ endem Münsterbau emporführt. „Zu gar großer Zier wird dieses mächtige Gottes¬ haus der Stadt gereichen“, höre ich Johannes Stabius mit Dr. Grünböck, seinem Mitbürger und Bruder in den Wissenschaften, sprechen, den er, stelle ich mir vor, auf dem feierabendstillen Bauplatz angetroffen hat. „Ja, die Wiener Dombau¬ hütte sei gepriesen, eine wahre Gottesburg setzt sie in unser Steyr! Und nun stehe ich wieder einmal selbst vor dieser Gottesburg, der Steyrer Stadtpfarrkirche, die das Bild der Stadt noch immer wie in alter Münsterherr lichkeit beherrscht, wenn sie auch, jäh von gewaltigen Feuern überfallen und durch braust von Stürmen wild erregter Zeiten, ihre Gestalt verwandeln und verjüngen mußte. Franz Schubert, der in der Geburtsstadt seines Freundes Johann Mayr¬ hofer, des melancholischen Lyrikers, und Johann Michael Vogl, des berühmten Sängers, so manche Sommerwoche im Genusse schön und reich durchlebter Stunden glücklich war, sah den Turm der Stadtpfarrkirche noch gekrönt mit dem barocken Helm, den ihm das 18. Jahrhundert aufgesetzt, und über die Brüstung einer der Altanen, die damals noch den Turm umkränzten, sah er Trompeten oft im Glanz des Morgens blitzen, oft im Schein des Abends schimmern, denn Turmbläser boten damals noch mit festlicher Musik dem Tag des Herrn Willkomm und Abschied. Anton Bruckner aber, der in den würdeschönen Stadtpfarrhof gern sommerliche Einkehr hielt und dort in der feierlichen Stille seines stuckgeschmückten Gastgemaches Ton an Ton und Klang an Klang zu neuen, Gott verherrlichenden Werken fügte, sah schon den verjüngten, vom Wiener Dombaumeister Friedrich von Schmidt als gotische Gestalt erdachten Turm hoch in den Himmel wachsen und sich zum neuen Wahrzeichen der alten Stadt vollenden. Wie ein großer Bruder blickt nun dieser Turm auf das Türmchen der Margaretenkapelle herab, dessen Traum, als Stein zu blühen, ihn zu eigenem Blühen beschwingt zu haben scheint „Stadt Stephana Schwertners!“ Hier auf deinem schönsten, geheimnismäch¬ tigsten Platze, wo ich deinen tiefsten Herzschlag zu vernehmen glaube, laß mich, Steyr, dich mit diesem Namen zubenennen! Hier vor der Tür des Margareten¬ kirchleins, hier in des Münsters hoher Halle hat sich das Schicksal der Jungfrau und Martyrin, das in der Vorstadt drüben an der Steyr still und dämmerhaft begonnen hatte, in jubelndem und strahlendem Triumph vollendet. Welche Wege ich auch immer durch Alt-Steyr gehe, jede Straße, jeder Platz und jeder Winkel erzählen mir von diesem großen Schicksal, dieser großen Sendung und jeder Klang, der sich mir zuspielt, wenn ich so, dem Leben Stephanas nachsinnend, durch die Stadt hinstreife, berührt mich wie ein Klang aus der Musik, die um dieses große, in höherem Sinne wahre, ja wirklich dargelebte Leben war: so das Brausen der 36

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