75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Die Stadt Steur. züge ihres Bildes, Klänge ihres Lebensliedes. Von Arthur Fischer=Colbrie. Aus Wildnissen, die Fels und ewiger Schnee beherrschen, tragen die zwei Flüsse Enns und Steyr, im hügeligen Vorland des Gebirges einander immer näher trömend, die Klänge ihres Rauschens der alten Burgstadt zu, die den Namen des zweiten dieser Flüsse übernommen und ihn groß und in der Welt berühmt gemacht hat. Steil gegiebelte Häuserzeilen, auf deren dicht gedrängte Dächer die Burg von ihrem Felsensitze wie mit Wächteraugen blickt; Türme, hoch be¬ schwingte und bedächtig steigende, die sich zu den Wolken zu erheben scheinen, um mit ihnen über waldige Bergesrücken hin in den fernher schimmernden Zinnen¬ glanz des Alpenwalls hinauszuträumen; Fahnen grauen Rauches, die von hohen Schloten über lang gereihte Arbeitshallen wehen; an den Lehnen der zur Stadt hernieder steigenden Hügel Fluchten junger Häuser, die das Ruhestundenleben der an den Maschinen Schaffenden behüten; und immer, um den Kern der Stadt als ein Kranz aus Klang gezaubert, diese doppelte Musik des Wasserrauschens, dieser Zwiegesang der Flüsse, der, dem Schloß zu Füßen, brausend in den großen Einklang findet: das ist Steyr, die Eisenstadt im grünen Vorgebirg des Alpen¬ landes, das ist ihr Bild und Lebenslied So liebevoll hat sich diesem Bild kein Künstler hingegeben und in die Tiefe dieses Lebensliedes hat kein Künstler so gebannt hineingehorcht wie Enrica von Handel-Mazzetti als geistige Mutter der Margaret und Stephana. Nach diesen ihren vielgeliebten Kindern müßte sich Steyr zubenennen. Denn wer je das Schicksal dieser Heldinnen und Dulderinnen miterlitten hat, wird für immer die Klänge ihrer Namen an den Klang des Namens Steyr knüpfen. Nicht oft führt mich mein Weg in die herrliche Zweiflüssestadt. Gerade des¬ halb aber feiere ich ein Fest des Herzens, wann ich wieder einmal auf dem alten Stadtplatz stehe und mich von seinem Zauber ganz umfangen lasse. Leicht be¬ chwingt und reich gegliedert, schwebt der zierliche und dennoch hoheitsvolle Nokoko¬ palast des Rathauses vor meinen Augen auf, mit dem schlanken, seiner schönen Helmzier stolz bewußten Uhrturm hoch über die Giebellinie der ennszu hinge¬ bauten Häuserzeile wachsend. Ein Steyrer Bürgermeister und Stadtrichter, Gott¬ hard Hayberger mit Namen, hat seiner Stadt dieses glanzvolle Bauwerk als Herzstück ihres bürgerlichen Lebens erdacht und aus dem Grunde seines Ge¬ dankenbildes ist das schönste Rathaus des ganzen Landes Oberösterreich herauf¬ gestiegen. Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, dieses Meisterwerk öster¬ reichischen Baugeistes der Rokokozeit oder jenes Traumgebild aus Stein, das die Zierde und der Stolz der Gegenzeile ist, jenes gotische Bürgerhaus, das sich mit Maßwerkband und Blendarkaden schmückt und in der Giebelmauer seines abgewalmten Satteldaches das Kleinod eines Maßwerkfensters wie ein Auge hütet, das ins Jahrhundert Dürers heimzusinnen scheint. In einem Gemach des erkergleichen Wohnstocks könnte ich mir Johannes Stabius denken, den großen 35

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