75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

elterlichen Erde an meine Kinderstirn. Und die Brunnen, die durch die Sommer meiner Kindheit rauschten, die Brunnen von Kremsmünster, deren Wasser köstlich frisch wie Bergquellwasser ist, sangen mir das ahnungsvolle, unergründlich tiefe Lied von meines Lebens Ursprung. Wie oft bot mir die Stiege, die vom grünen Vorplatz des mütterlichen Elternhauses in die Herrengasse abfällt, mit einer ihren grasbewachsenen Stufen eine Nuhebank, mich dort dem Zauberwort des Brunnens überlassend, der, an die Stiegenmauer hingelehnt, von ahnenalten Tagen spricht. Wie oft lauschte ich dem Brunnen, der die Stille des weltverborgenen Platzes hinter dem Notarshause mit träumerischem Klang durchspielt. Er zog mir leise nach, dieser Klang des Vaterbrunnens, wann ich die Stiege nach dem lauschigen Gärtchen aufwärts ging, das sich mit einem hohen Bretterzaun gegen den Töten¬ hengst hin abgrenzt. Auch im feuchten, moosbedeckten Stufenstein dieser dunkel überlaubten Stiege schlummerte geheimnistief ein Klang, der, von Menschenschritten aufgeweckt, traumhaft auf- und niederhallte. Unverloren, lebt dieser Klang in meinem Herzen auf, sooft ich an die Kindheitsnachmittage im Garten des gro߬ elterlichen Hauses denke. Wenn ich, in die Erinnerung an jene Zeit versunken, aus den Spielen, die uns kleine Enkelkinder dort die Wangen glühen machten, einen Atemzug lang aufschaue, so sehe ich auf der Bank im Vordergrund des Gartens, von wo sich eine tiefe Sicht in die Kremstalberge öffnet, eine zarte, zierliche Matrone sitzen, das blasse, fein geschnittene Antlitz über eine Handarbeit geneigt, die auf dem Tische vor ihr liegt. Als Tante Marie begleitet diese schöne Frau, die aus den Linzer Sommern gern ins elterliche Haus heimfand und dort die Ferien auf ihre stille und in sich gekehrte Art verbrachte, manches Wegstück meines Kinderlandes. Sie war die Gattin Edward Samhabers und so war dieser Minnesänger der Natur und Neugestalter alten deutschen Liedgutes der erste Dichter, der mir auf meinem Lebensweg begegnete. Onkel Eduard, wie wir ihn nannten, diesen schmächtigen Mann mit der kühn geschwungenen Nase und den verträumt schimmernden, oft aber auch schalkhaft funkelnden Augen, Onkel Eduard war nur ein flüchtiger Gast in unserem kleinen Gartenreich. Im braunen Samtrock, den Schlapphut in die Stirn gedrückt, die Finger der schmalen Hand, aus der die Adern schwellend traten, um den Silber¬ griff des schwarzen Wanderstocks gekrümmt: so sehe ich ihn durch die Gartenpforte treten und höre ihn beglückte Worte sprechen vom Wald, in dem er seinen Tag verbracht. Das Staudingerhölzl wie gemütsbetont, wie zärtlich fast klang dieser bäuerliche Waldflurname aus des Dichters Munde — war sein Lieblings¬ aufenthalt. Unter dem Fichtenrauschen dieses Hügelwäldchens, das auf Kirchberg, das liebliche, an den Rand des Bildes von Kremsmünster wie hingeträumte Dor herabgrüßt, wuchsen die schönen Strophenbauten seiner Nibelungendichtung. Oft war er aber auch hinausgewandert in den großen tiefen Schacher, der hinter sanft gewellten, stattliche Gehöfte umatmenden Obstbaum- und Getreidefluren der un¬ geheuren Waldvergangenheit des Landes dunkel nachträumt, an reinen Tagen von den fernen Höhen der Donauberge dustblau überwölkt. Und wann nach solchen Wanderungen Onkel Eduard am Abendtische von den verschwiegenen Wegen durch den finsteren, unheimlich dichten Wald erzählte und von den geheimnistiefen Teichen sprach, an deren einsam-stillen Ufern er gestanden, in das Wunder der weißen Wasserrosen staunend, die er auf den dunklen Spiegeln dieser Waldes¬ 32

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