75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Der Weg, der durch das Lärchenwäldchen in die Pestleiten führt, war der Lieblingsweg der Verlobten, die Bank vor der Baronkapelle war ihr Lieblings¬ platz. Im Schatten dieses kleinen Heiligtums, das den Gottesfrieden des stillen, abgeschlossenen Tales hütet, ließ sich der Traum der Brautzeit lieblich träumen. Das Österlicht der Schlüsselblumen, von jedem März der Wiese neu geschenkt, die vom Kapellenweg in sanfter Neigung dem Wald entgegenfällt, es schien den Liebenden zur Feier ihres Lebenstages angezündet. Das quellenjunge Lied des Baches, der durch den Waldesgrund, von Leberblümchen blau beträumt, zur Krems hinwandert, erfüllte ihre Herzen mit Musik des Frühlings. Und wann sie heimzu gehend, den Höhenweg erreichten, der zurück ins Lärchenwäldchen leitet, dann hielten sie gerne inne, um vom Waldesrand noch einmal das geliebte Krems¬ tal zu betrachten, wie es einem großen schönen Garten gleich zwischen den Hängen des Vorgebirges dämmernd lag, während letztes Sonnenfeuer Felsengrate und verschneite Gipfel über dem Nuhebild begrünter Kuppen wie kühne, himmel¬ stürmende Gedanken leuchten ließ. Dort drinnen im Gebirge, wo die Steyr lüssigen Smaragd durch tiefe Schluchten trägt, wußten sie das alte Gnaden¬ kirchlein liegen, das sie als Weihestätte ihrer Hochzeit ausersehen hatten. Und als der große Tag gekommen war, da maiengrün geschmückte Wagen zur Feierfahrt nach Frauenstein aus dem Markt Kremsmünster rollten, hörten die Verlobten im Morgenklang der Klosterglocken, der ihnen in das Tal der Krems hinein ein festlich tönendes Geleite gab, den Abschiedsgruß der Heimat chwingen. Denn als ihr Lebensbund im Angesicht der lieben Frau gesegnet war, die ihres Mantels schwere Flügel auseinander schlägt, um alle ihr Vertrauenden — in gottesmütterlicher Liebe zu umfangen so ihr Lebensbund gesegnet war, als ging ihre Reise weit ins Land hinaus, bis sie über einem Auwald hohe Schlote in den Abendhimmel ragen sahen: Wahrzeichen ihrer neuen Heimat Traun. Dort entwuchs die erste meiner Schwestern, die schon in holdem Kindesalter heimberufen wurde, ihrer Wiegenzeit und mein älterer Bruder erblickte dort das Licht der Welt. Ich selbst darf mich ein Kind der oberösterreichischen Hauptstadt nennen, die meinem Vater eine bessere, seinem Können angemessene Lebensstellung geboten hatte. Der Landhausturm, der hirtlich treu auf mein Geburtshaus in der Altstadt blickt; der Turm der Stadtpfarrkirche, von dem die Stunde meiner Taufe schlug; des Alten Domes Zwillingstürme, um deren grüne Hauben meine träumenden Gedanken wie Schwalben flogen, wenn ich am Fenster des Hauses in der Lessing¬ gasse stand, die meiner Kindheit zweiter Lebensraum geworden war; der Turm des Neuen Domes, den ich von eben diesem Fenster aus Stück für Stück seiner Vollendung näher wachsen sah: sie alle, die geliebten Linzer Türme, grüßten als estlich-freundliche Gestalten in meinen Kindertag herein. Bald aber tauchten am Himmel meiner Kindheit auch die Klostertürme von Kremsmünster auf und senkten ihrer Glockenstimmen goldenen Wohlklang als Musik der Heimat in mein Herz. Denn in der alten Elternheimat fühlt sich auch das Kind daheim und tief geborgen, unbewußt fühlt es sich dort umfangen von den Seelenmächten seiner Lebensvorzeit, Geheimnishauch der Urheimat weht dort an seine Stirn. So hauchte auch der Wind, wann er mit leisem Singen durch das Lärchen¬ wäldchen zog, wann er die Blumen und die Gräser der Pestleitenwiese sanft be¬ wegte oder um das rote Glockentürmchen der Baronkapelle strich, den Kuß der 31

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