75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

die vom Menschen gepflanzten Gewächse nehmen an den Veränderungen des Landes teil. Im höheren Mühlviertel spreizen sich die flechtenbewachsenen alten Kirschbäume gegen die Wucht der Stürme, an den milderen Hängen dunkeln die dichten Kronen der Birnbäume, die dann weit bis ins Gebirge hinein die Feldmark beherrschen, denn der Oberösterreicher weiß, warum er seine Birnbäume pflanzt. Und wo die Berghänge dem Fruchtbaum keinen Standort mehr gönnen, da rundet ich die Krone des Bergahorns, die Lärche spaltet sich in ihr leichtes Gezweige auf oder die Fichte vereint sich zu dichten Wäldern, die bergwärts steigen, bis sie von Lärchenbeständen abgelöst werden oder von dem kriechenden Knieholz der Legföhre. Auch die Halmfrucht wandelt sich mit dem Wandel des Landes: hier läßt der rauhere Boden nur die dürftigere Ahre des Roggens zu, der im Gebirge noch mit der Sichel geschnitten wird, dort steht in fruchtbarer Ebene die Weizen¬ saat aufrecht mit kraftstrotzenden, gebräunten Ahren, dort wieder flattert die lockere Rispe des Hafers noch im kalten Atem der späten Septemberwinde Und mit den Pflanzen wechseln die Tiere. Im Gestein der Felshalde stiebt das Gemsenrudel dahin, um den Gipfel des Dachsteins kreisen die Bergdohlen. Über die Acker und Wiesen des Mühlviertels schwingt sich in immer höher ent¬ schwebenden Kreisen die Lerche auf, und zwischen Berg und Tal kommt und geht in unermüdlichen Schleifen der Schwalbenflug. Auch die Siedlungsweise des Bauern verändert sich. Der aus grauem Granit gefügte fränkische Hof des Mühlviertels weicht schon an den Hängen des Donau tales dem wuchtig gelagerten Vierkanter, und diesen wieder löst im Gebirge den schindelgedeckte, an steiler Lehne klebende Berghof ab. Selbst in den Kirchtürmen der Dörfer zeigt sich ein Wechsel an. Da ist die spitze Turmnadel, die aus den Falten des Mühlviertels vorsichtig prüfend hervorlugt, da sind die barocken Zwiebeltürme des Kremstales, die sich etwa von den schlanken Turmhauben des Innviertels gar wohl unterscheiden. Und der in höherem Sinne gestaltende Menschengeist, welche Zeugnisse seines Schaffens hat er diesem alten Kulturboden anvertraut? Schon die karolingische Zeit sah die ältesten seiner Klostergründungen, aber wenn wir von dem Bild der Gegenwart ausgehen, so werden freilich erst mit dem späteren Mittelalter die Zeugnisse einer regen Bau- und Bildkunst zahlreicher und bedeutsamer. Wohl liegt manche einst mächtige und gefürchtete Burg längst in Trümmern, etwa in der versteckten Falte eines zur Donau niedersinkenden Waldgrabens, oder auf frei überblickendem Rücken über einer Schlinge des großen Stroms, oder als Be¬ krönung seiner steil abfallenden Felsufer, oder auf einer Bergwarte des Mühl¬ viertels, fernhin schauend und von fernher erblickt, das gemeinsame Wahrzeichen eines weiten Umkreises, wie der runde Wartturm von Waxenberg. Vielleicht liegt die Burg abseits von den Wegen der Menschen in einsamer Waldgegend und nur das Rauschen eines in der Tiefe gehenden goldbraunen Wassers sucht zu ihrer Stille emporzudringen. Oder sie bietet, bedrohlich aufgerichtet über einer viel¬ befahrenen Heerstraße, noch immer dem Vorübereilenden Trotz, wenn auch seit langem nicht mehr gefürchtet, ja kaum noch eines flüchtigen Blickes für wert geachtet Aber wenn die Zeugen einstiger Gewalt in Trümmern liegen, so blieb doch manches Zeugnis einstiger Andacht bewahrt. Noch immer hebt in vielen Kirchen des Landes das gotische Gewölbe den Geist empor und umspinnt ihn mit dem 25

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2