75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Auch die Voralpenzone ist in ihrem landschaftlichen Charakter nicht einheitlich. Wie anders das weit ausladende Fruchtland zwischen Linz und Steyr, in dem St. Florian eingebettet liegt, oder die sanft geschwungenen Hügel zwischen Krems¬ münster und Wels, wie anders die blütenreichen Höhen von Scharten oder die hügelumwallte Gartenlandschaft von Eferding, oder gar die Waldlandschaft des Hausruck und Kobernauserwaldes, oder das Ibmer Moos, wo sich jenseits der Moorfläche und ihrer leuchtenden Birkenstämme die fernen Felsberge gegen den Himmel zacken. Und wenn wir den Bergen näher rücken, ist es abermals das belebende Element des Wassers, das Unterschiede des Bildes prägt. Freilich ist es hier nicht der wandernde Teppich des Stroms, sondern es ist die ruhende Fläche des Sees, die nun ihre still beherrschende Macht entfaltet. Und jeder der großen Seen des Salzkammergutes ist wieder seine eigene Welt. Welcher der schönste ist? Wer dürfte es entscheiden? Oder ist es der, an dessen Ufern wir gerade weilen und der uns durch seine eigenartig betörende Sprache in seinen Bann zwingt? Denn etwas Betörendes hat das lässig bewegte, vitriolblaue oder opalisierende Spiel der Wellen, die seidenweichen Übergänge der zarten Farben, das mahnende Anschlagen der pochenden Flut an die Uferdämme, das verträumte Rauschen des Schilfes, aus dem sich geisterhaft — etwa über einer erlenbestandenen Landzunge — eine rötliche Felswand verflüchtigt, schon jenseits der Seefläche in den Schleier der Ferne sinkend, oder es schwingt sich ein blaues Gebirge am unteren Ende des Sees auf, während an seinem oberen, dem offenen Lande zugekehrten Ufer die Dörfer blinken, eine Stadt ihre flach verrieselnden Nänder löst oder Schlösser inselhaft in die Flut hinausgleiten, nicht viel anders als die Boote, deren blitzende Gegel sich über die ruhende Fläche zersplittern, kaum bewegt, wie es aus der Ferne scheinen will, und doch jene schweifende Sehnsucht betonend, die über den Wassern liegt. Und wenn der Traun- und Attersee von der Anmut der Nordufer in größere, ernstere Bilderfolgen hineingeleiten, so ist der Hallstättersee, am tiefsten ins Herz des Gebirges eindringend, ein getreuer Spiegel seiner schwermütig-schönen Er¬ habenheit. Nun stehen wir am Fuße des Dachsteins selbst, an dem wie an der Nordwestecke des Landes — gleichfalls drei Länder teilhaben und der mit seinen erstarrten Gletscherströmen und seinen scharfen Gipfelscherben die Szene zu ihrer letzten Höhe emporreißt und so beschließt. Auch weiterhin gegen Osten stehen als feierliche Hüter des Landes die großen Berge. Das Tote Gebirge mit einer wild zerklüfteten Hochfläche, der große Priel, das Warscheneck, die Admonter Berge, sie geben der wechselnden Landschaftswoge gleichsam den letzten, unwider ruflichen Halt. Im Erhabenen erstarrt die Bewegung und weist nach oben. Es ist, als hätte die Erde nun das Füllhorn ihrer Formen erschöpft und griffe mit steiler Geste in das geöffnete Blau des Himmels. So verläuft die Landschaftswelle des oberösterreichischen Landes: mähliches Niedersinken aus den böhmischen Randbergen, steiler Absturz ins Donautal, lang¬ sames, vielfach bewegtes Ansteigen zu den Kämmen der Alpenkette. Und dieser landschaftlichen Vielfalt fehlt es nicht an mannigfachen Begleittönen. Da sind die treuesten Begleiter des Bodens, Baum, Strauch und Blume, von der Weißtanne in den Wäldern des Nordens, von Wollgras und Augentrost auf den Mooswiesen des Mühlviertels bis zur Schneerose und Erika, zur Narzisse und Trollblume der Bergtäler und dem Enzian, der Aurikel, der Alpenrose des Hochgebirges. Auch 24

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