75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Oberösterreich. Candschaft und Kulturerbe.) Dr. Julius Ferzer, Oberösterreich: der eine Name weckt hundert Erinnerungen, denn unsere Heimat ist ein vielgestaltiges Land. Nicht nur die Granitwelle nördlich der Donau, das Voralpengebiet und die Alpenkette selbst weisen ganz verschiedene Züge auf, sondern auch die einzelnen Landesteile entfalten sich in Abschnitten von bezeichnender Eigenart. Beginnen wir an der böhmischen Grenze. Da rauschen die melancholisch dunklen Mäntel der Wälder herab, wie Wolkenschatten über der buckligen Welt auseinander gebreitet, an der Dreiländerecke ein noch zusammenhängendes, langatmiges Strömen, das sich nach Osten zu mehr und mehr lichtet, von Wiesen und hohen Feldern durchsetzt, und immer wohnlicher werdend manche Kirchturmspitze eines einsamen Dorfes aus seinen Falten hervor¬ — lugen läßt. Aber wenn man die Hälfte des Landes überschritten hat, werden — enseits der Freistädter Senke die Wälder wieder düsterer, weitreichender und geschlossener, sowie sie sich, bei Sandl etwa, der niederösterreichischen Grenze jähern. Dort hocken in den mühsamen Ackern die dunklen, mächtig gerundeten Granitblöcke, und das idyllische Mühlviertel klingt in eine grimmige Geste aus. Woran der Linzer zuerst denkt, wenn er von seinem Mühlviertel redet, das ist das versonnene Hügelland, dessen behäbige Märkte, an äckerdurchfurchte Hänge geschmiegt oder in sanften Talwiegen geborgen, in einem nördlichen Halbkreis die Hauptstadt umschließen oder wohl gar, wie das liebliche Kirchschlag und das aus dem innersten Winkel des Haselgrabens hervorlauschende Hellmonsödt, ihre fern¬ blauen Grüße zu den Linzern hinabschicken. Doch damit sind wir schon beim Land¬ schaftstypus des Donautales, das zwischen dem traulich-ernsten Granitland und den bewegten und fruchtbaren Gebreiten des Voralpenlandes sein vielfach ge¬ wundenes Band hindurchgleiten läßt. Der Nibelungenstrom: wie ein machtvoll schwellender, raumfüllender Orgelton kommt er durch das schweigsame Land geflossen, ein Stück Ewigkeit, unberührt vom kleinen Hasten der Menschen, seit grauer Vorzeit immer nur von der einen großen Sehnsucht nach Osten, nach dem ernen Meer seiner Mündung hinabgelockt. Gleichmütig zieht er dahin, ob ihn Waldberge einzuengen versuchen, ob Städte oder Dörfer an seinem Saume nisten, ob sich Fluren und Fruchtäcker frei entfalten oder ob das Dickicht der Auen sein Geheimnis verschließt, aus dem nur zuweilen die schwer rudernden Flügelschläge der Neiher emporsteigen. Aber wenn der Strom selbst wie ein sinnender Wanderer tur in sein eigenes rätselhaftes Wesen versunken scheint, so nimmt doch zu seinen beiden Seiten das Land etwas von seiner feierlichen Größe an, von seiner priester¬ lichen Ruhe, seinem prophetischen Wanderdrang. Wo immer die Donau belebend und beherrschend ins Bild der Landschaft tritt, ist es, als ob ein Stück Himmel auf die Erde niedergeglitten wäre, als ob sich das Dunkle erhellte und das Starre beflügelte. Eine neue, unerwartete Beseelung ist es, die die Uferlandschaft eines großen Stromes erfaßt, das Hereintreten eines ausgreifenden, weitblickenden Schicksals in den stummen Bereich der verhaltenen Erdkräfte. 23

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