75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

onen sind, aber nicht als solche gekennzeichnet werden, so daß sie zuweilen fast die Rolle eines Chorus vertreten: so heißt es am Schluß des ersten Teils im „Jesse“: Armer Bub, das ist noch das Argste nicht, das ist nicht Crucifige. Daß ich aber aus diesen angeblich dramatischen Werken keine giltigen Dramen formen ließen, deutet auf mehr als die bloße Unzulänglichkeit der Unternehmer. Bis in die Darstellung der Landschaft hinein (man vergegenwärtige sich etwa den Nitt des Professors Walch durch Böhmen nach Krems oder die landschaftlichen Partien in der „Stephana“ und ihr Mitspiel in der Handlung) ist Überhöhung und Über¬ steigerung das Stilprinzip. Das führt zu perspektivischen Verzeichnungen, ja Verzerrungen, die gewollt sind und beileibe nicht als Entgleisungen betrachtet werden sollten. Mag das in der modernen Welt etwa von „Nitas Vermächtnis befremden, so ist es doch grundlegende Eigenart. Und darum steht die Handel¬ Mazzetti in mancher Hinsicht näher dem Expressionismus als dem Naturalismus, was schon ihre Barockverhaftetheit ahnen läßt, obwohl sie vor reiner Expressivität wieder manches bewahrt, besonders die Ehrfurcht vor allem Geschichtlichen. Zwei Hauptformen lassen sich nun in den Erzählungen der Dichterin auf¬ weisen: die Großform des breit angelegten, zunächst zweiteiligen (antithetisch gebauten), später dreiteiligen Nomans (von der „Stephana an), eine Art Schwell¬ form, und die Kleinform des einteiligen Werkes, die erweiterte Novellenform genannt werden könnte: „Die arme Margaret", „Der deutsche Held“, „Günthers Tod“ „Die Waxenbergerin“. Da ist meist ein Problem scharf herausgearbeitet, die Handlung zeitlich und örtlich konzentriert, auf ein paar Tage, sa auf ent¬ scheidende Stunden zusammengedrängt, die Zahl der Personen beschränkt und damit eine Nebenhandlung abgeschnitten Die relative Schlankheit dieser Werke besteht nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Sie zeigen Annäherung an den Bau des Dramas, am deutlichsten vielleicht „Der deutsche Held“, in dem es sich wie in Schillers „Maria Stuart' von Anfang an um die Frage der Hinrichtung dreht, und gehen thematisch oft einem Großwerk voraus: so die „Arme Margaret“ der „Stephana“, „Der deutsche Held“ dem Sand-Roman, die Günther-Novelle „Frau Maria“, „Die Waxen¬ bergerin“ „Graf Reichard“. Sie führen in die Welt und meist auch in die Problematik der kommenden Werke ein und lassen sich im Entwicklungszusammen¬ hang gleichsam als Kraftproben zu den Großwerken ansprechen. Auch „Brüderlein und Schwesterlein“ wird so zum Auftakt der folgenden „Nita“-Bücher. Und man wäre versucht, in diesen Vorläufern Studien zu erblicken, wenn sie nicht selbstän¬ dige Bedeutung hätten und in ihrer knapperen Zusammenfassung zuweilen sogar glücklicher wären als die weit ausladenden Großformen. Das Szenische der Romandiktion sucht sich nun innerhalb der Großformen in der Einschaltung einer Theateraufführung letzten Ausdruck. Die dichterische Funktion dieser Einlagen ist freilich verschieden, man kann nicht sagen, daß sie gewissermaßen den Kern der Handlung, die Idee, symbolisch verkürzt wiedergäben. Aber in Beziehung dazu stehen sie natürlich immer. Da ist die Rettenbacher¬ Aufführung am Karnisseltag im Stift Kremsmünster, in der der kleine Edwin Mac Endoll den Gunther in der Gründungslegende des Klosters verkörpert, da ist das Spiel in Pöchlarn vor Jesse von „Josef und Putiphar“, dann die Einübung eines Jesuiten - Spieles über die Gefangenschaft der Maria Stuart in Krems, das Klosterspiel von der hl. Cäcilia in St. Pölten bei den Englischen Fräulein, das 155

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