75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

kehrt die Dichterin in diese Epoche als in ihre eigentliche Domäne zurück. Je näher sie der Gegenwart, der modernen Zeit kommt, umso gewaltsamer und un¬ wahrscheinlicher wirken ihre Gebilde, je mehr dem Barock verhaftet, umso echter und blutvoller. Im Barock hat das Kloster und eine Lebensordnung noch eine andere Be¬ deutung als in späterer Zeit und die Benediktinerklöster von Kremsmünster und Garsten, in die uns die Dichterin führt, das Jesuitenkloster in Krems, das Wiener Ursulinenkloster, das Frauenkloster in St. Pölten (Sand-Noman), sie alle zeigen in ihrem Wesen zugleich mit ihren Baulichkeiten und Kunstdingen noch fortwirken¬ den barocken Geist. Für die Nomane der nachnapolenonischen Epoche war Kriegs- und Nach¬ kriegszeit mit ihrer Problematik, mit ihrer Erschütterung geltender Werte, der Frage des Heldentums und des politischen Mordes anregend, für die späteren Romane, in denen das konfessionelle Thema nicht mehr die Führung hat, ist zu erwägen, daß sie in einer Epoche entstanden, in der nicht innerchristliche Streitig¬ keiten, sondern Kampf des Christentums gegen den Atheismus, gegen den „Anti¬ christ“ sich immer deutlicher als Signatur des Zeitalters abzeichnen. Und so ist die schließliche Hinwendung zu der Zeit der Türkenkämpfe nicht nur als eine Ver¬ herrlichung der österreichischen Heldenzeit zu fassen, sondern zugleich wieder in gewissem Sinne als Zeitspiegel: auch damals handelte es sich um eine Rettung des Abendlandes vor dem Untergang. Der geschichtliche Roman der Handel¬ Mazzetti ist also, wie die geschichtlichen Nomane meist, irgendwie zeitbedingt, so versteckt das zunächst sein mag. Wie eine Vorahnung klang die Wahl des Sand¬ Themas, wenn man an manches Zeitereignis und an die Stellung zum politischen Mord in den letzten Jahrzehnten denkt. Die Romane der Handel-Mazzetti sind Weltanschauungsromane, und zwar katholische Weltanschauungsromane und man wird sich die Frage vorlegen müssen, wie solche Weltanschauung auf die dichterische Form abfärbt. Denn jede Welt¬ anschauung prägt sich ihre Form selber. Es ist hier nicht möglich, das Werk der Dichterin in die katholische Weltanschauungsdichtung einzugliedern, aber es muß gesagt werden, daß einerseits katholisches Bekenntnis nicht unbedingt in die Welt des Barock führen muß, anderseits aber doch deutliche Zusammenhänge mit an¬ deren Werken katholischer Richtung vorhanden sind, was nur auf die gemeinsamen weltanschaulichen Grundlagen zurückgeleitet werden kann. Eine transzendente Weltanschauung, die Diesseits und Jenseits nicht nur dualistisch einander gegen¬ überstellt, sondern auch voneinander abhängig sein läßt, die das Fenseits auf dem Diesseits aufbaut und umgekehrt das Diesseits vom Fenseits her beglückt und bedroht werden läßt, muß unwillkürlich zu anderen dichterischen Formen gelangen als etwa eine immanente Weltauffassung. Weil ihr das Diesseits nicht das Letzte bedeutet, wird es für sie immer transparent sein. Die Idee, der Glaube trägt über die Angst des Irdischen hinweg. Es ist kein Zufall, daß im katholischen Weltanschauungsroman immer wieder die Frage der Rechtgläubigkeit, der Be¬ kehrung, des Opferlebens, ja der Lebenshingabe eine entscheidende Rolle spielen, selbst in jenen Werken, die nicht aus Gegensätzen gespeist werden, sondern einfach aus christlicher Haltung leben. Katholische Überzeugung bringt so unwillkürlich irgendwie die Motivwelt der Legende nahe, auch wenn etwa das Wunder noch bewußt und absichtlich ausgeschaltet werden sollte. Selbst im Gegenwartsroman 153

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