75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

ferl“). Die Dualformen des Personalpronomens „ös, enk“ bleiben auf die Mund¬ art beschränkt; die Verkehrssprache übernimmt das „—s“ des „ös“ und hängt es nach unserer heutigen Sprachgepflogenheit an die Verbalformen an; die Hoch¬ sprache hingegen vermeidet auch diesen mundartlichen Anklang. Wie diese „—s“- Formen der zweiten Person des Plurals haben Verkehrssprache und Mundart auch den Ausfall des „rch“ im Auslaut gemein: „i“ (ich), „glei“ (gleich); die Hochsprache kennt nur die Vollformen: „ich, gleich“. Daß alle diese Spracherschei¬ nungen nicht streng gesetzmäßig auf bestimmte Situationen oder Personen be¬ schränkt sind, erklärt sich aus den schwimmenden Übergängen zwischen den ein¬ zelnen Sprachstufen Aber gerade die Veränderlichkeit der Sprache macht diese zu einem wert¬ vollen, allerdings nicht leicht zu handhabendem Charakterisierungsmittel des Sprachkünstlers. Wie im Leben sind in der „Armen Margaret“ die Reden nicht allein inhaltlich, sondern auch formell ein Spiegel der sozialen Stellung und der eweiligen Stimmung des Sprechers. Breit und behäbig fließt die Mundart der Steyrer dahin, auch wenn sie sich in höchster Erregung gegen das kaiserliche Mandat, gegen Margaret oder gegen den Leutnant Herliberg wenden. Gleichsam konzentriert finden sich die mund¬ artlichsten Sprachformen in dem Spottgedicht auf den Leutnant (S. 227). Treten aber die Steyrer nicht anonym in Masse, sondern als bestimmte, wenn auch nur kurz gestreifte Einzelpersonen auf, dann hebt sich ihre Sprache bis zur Stufe der Hochsprache, allerdings immer untermischt mit zeitstilbedingten Archais¬ men. Die sprachliche Differenzierung der Einzelgestalten tritt hinter die gefühls¬ bestimmte zurück. Der Villacher Schwertschmied Nesch spricht die gleiche Mundart wie die Steyrer. Breit mundartlich redet er stolz von seiner eigenen Kraft; er wählt aber die Hochsprache, wenn er formell die Intervention beim Oberviertel¬ meister Till verlangt (S. 91). Die Frauen als Hüterinnen bodenständigen Kulturgutes sprechen eine brei¬ tere Mundart als ihre Männer. Nicht groß, aber dem feinen Ohr hörbar ist in dieser Hinsicht der Sprachunterschied zwischen dem Kurzmesserer Himmelpointnen und seiner prächtigen Frau Apollonia. Ihre behäbige Mundart und ihr herzens¬ gutes Wesen umweben mütterlich die verfolgte Margaret. Fast könnte man in ihr eine in die Stadt versetzte Bauerntochter vermuten. Auch das zweite Steyrer Paar, der Pfleger des Ennsdorfer Bruderhauses Haller und seine Frau Anna, unterscheiden sich derart. Haller tritt uns zwar vorwiegend im Gespräch mit seinem Vorsteher Zettl entgegen, dessen Würde als Ratsherr und Viertelmeister ihn zu „feinerem“ Deutsch zwingt. Sehr feinfühlig beobachtet die Schriftstellerin den Umschwung in der Sprache, wie sich Haller vor Zettl für den Leutnant einsetzt (S. 350). Solange er für Margaret für die Rettung Herlibergs spricht, gebraucht er die feinere Verkehrssprache; sobald er aber sein eigenes Mitgefühl sprechen läßt, unterlaufen ihm immer mehr rein mundartliche Formen. Seine Frau Anna hingegen erhebt sich selbst im Gespräch mit Zettl nicht über die Mundart. Be¬ onders warm und anheimelnd werden ihre Worte, wenn sie sich tröstend an Margaret wendet, ja selbst, wenn sie voll Mitleid und Bewunderung über Mar¬ garet spricht. Der Oberviertelmeister von Steyrdorf, Till, von Beruf Metzger und Wirt, paradiert vor dem Leutnant mit einem Schwulst lateinischer Wörter, die seinem 144

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