75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Die Plastizität der Sprache bietet dem Sprachgestalter eine unbeschränkte Möglichkeit der Charakterisierung durch die Sprache, sie birgt aber auch eine große Gefahr für ihn. Gestalten in eine im vorhinein schematisch festgelegte Zwischen¬ stufe zwischen Mundart und Hochsprache hinzwängen und sie in dieser Sprachstufe festhalten zu wollen, hieße dem Leben Gewalt antun. Neines Hochdeutsch und reine Mundart stellen den Schriftsteller vor eine geringere Probe, da er mit normierten Sprachformen arbeiten kann. Die unbeständig gleitende Verkehrs¬ sprache als Mittel der Charakterisierung zu meistern, ist daher ein Zeichen höchster Sprachbeherrschung und Lebenskenntnis. In diesem Problem berühren sich Sprach¬ forschung und Psychologie aufs engste. Da sich dieser Aufsatz auf die sprachlichen Probleme beschränkt, können die folgenden Ausführungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie sollen aber die Sprachmeisterschaft und Lebensnähe Enrica von Handel-Mazzettis beweisen. Es ist unmöglich, den drei Sprachstufen Mundart — Verkehrssprache — Hochsprache in der „Armen Margaret“ eindeutige sprachliche Kennformen zu¬ zuzweisen. Wie bereits dargelegt wurde, ist die Hochsprache noch nicht fixiert und von zahlreichen Archaismen durchsetzt, die ihrerseits wieder stark mundartlich gefärbt sind. Keine Gestalt des Nomanes spricht unser heutiges Schriftdeutsch durch Lautgebung, Wortwahl und Wortstellung gibt die Schriftstellerin den Neden auch der gebildeten Personen einen altertümelnden, fernen Anstrich. Die grobe Mundart in der „Armen Margaret“ wird durch einige jener archaisierenden Hochsprache fremde Spracherscheinungen charakterisiert. Sie wurden bei der Besprechung der Steyrer und oberösterreichischen Mundartmerkmale bereits gestreift: z. B. „nöt“ (nicht), „oa“ für mittelhochdeutsches „ei“ („kloan“ klein) „ra“ für die Endung „-en („Schimpfa, dasticka"). Um den „breiten“ Fluß der oberösterreichischen Mundart lautlich zu charakterisieren, macht Enrica von Handel¬ Mazzetti Unterschiede in der Schreibung, die durch die Lautung nicht mehr gerecht¬ fertigt erscheinen. Dem Leser aber, für den der Noman bestimmt ist, prägen sich diese Schriftbilder als charakteristisch für die jeweilige Sprachstufe ein. Wie heute klang auch im 17. Jahrhundert die lautliche Entsprechung für mittelhochdeutsches „uo wie „ua“, für mittelhochdeutsches „ie, üe wie „ia, doch nicht allein in der groben Mundart, sondern auch in der Verkehrssprache der Stadtbürger und der damals üblichen süddeutschen Hochsprache. Die Schriftstellerin geht über diese Verhältnisse hinaus, wenn sie die Schreibungen „ua, ia“ („Bua, guat, liab, Pfiat Gott“) nur der groben Mundart zuteilt, für die Verkehrssprache „ue, ie, üe“ („Bueb, lieb, müessen“) gebraucht, in der Hochsprache aber bereits unsere heutigen Schrei¬ bungen gelten läßt („Mutter, Schuch, müssen"). Diese unterschiedlichen Schrei¬ bungen haben verschiedene Quellen: die „ua -Schreibungen und ihre Verwandten entstammen unserer heutigen Mundart, die „ue -Schreibungen der Schreibweise der Chroniken, die „u“-Schreibungen unserer heutigen Schriftsprache. Obwohl diese Unterscheidung sprachgeschichtlich unbegründet und konstruiert erscheint, dient sie doch der Schriftstellerin als Mittel zum künstlerischen Zweck, wodurch ihre Be¬ rechtigung im Kunstwerk erwiesen ist. Ahnlich liegen die Verhältnisse bei der Schreibung der Nachsilbe „-er“, beziehungsweise der Vorsilbe „er-“ („der-“). Nur für die breiteste Mundart gebraucht die Schriftstellerin die Schreibungen „ra, da¬ („Finga, wieda, dahungern, dasticka, bissal“), während trotz gleicher Lautung für die höheren Sprachstufen die „er“-Formen gelten („Finger, derschießen, Strei¬ 143

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