75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

vor Zeiten nicht in demselben Gebiet geherrscht zu haben. Man unterscheidet nach dem allgemeinen Verhalten beharrsame Gebiete, in denen durch lange Zeiträume dieselbe Mundart an der Herrschaft bleibt, und starker Veränderung unterworfene Gegenden, in denen in ständigem Fluß neue Formen die alten ablösen. Gerade das Gebiet von Steyr, der Schauplatz der „Armen Margaret“, liegt am Schnittpunkt verschiedener Sprachgebiete. Es liegt an der Westgrenze der von Osten eindringenden fortschrittlichen niederösterreichischen Sprachformen, die durch den beherrschenden Einfluß Wiens immer weiter nach Westen getrieben werden, gegen die beharrsamen, alten Mundartformen der oberösterreichischen Mitte. Bei Steyr spielt sich der Kampf zwischen den jüngeren Sprachstufen des Donautales im Norden, die durch die wirtschaftliche und kulturelle Überlegenheit des aufgeschlossenen Durchzugslandes in die Alpenländer hinaufgetragen werden, und den altertümlichen Mundarten des gebirgigen Südens ab, der durch die Eisen¬ verarbeitung eine wirtschaftliche und kulturelle Eigenstellung erlangte. Städte sind fremden Einflüssen gegenüber aufgeschlossener als das bäuerliche Land; bei Steyr, das am Kreuzungspunkt zwischen Osten und Westen, Norden und Süden liegt, ist dies besonders der Fall. Diese Mittelstellung zeigt sich auch in der Sprache der Steyrer, wie sie uns in der „Armen Margaret“ entgegentritt. Die oberösterreichischen Mundarten kennzeichnen sich durch einen weitgehen¬ (noch), „glei“ (gleich), den Ausfall auslautender Konsonanten: „I“ (ich), „no (Lebzelter), „fürchterli“ (fürchterlich), „neidi“ (neidig), „Bua (Bub), „Lezelter „wa“ (was). Daneben findet man aber auch schon die feineren Formen des Ostens, je nachdem ob das Wort von einem reinen Mundartsprecher oder einem Vertreter des Bürgertums gesprochen, ob es im Alltagszusammenhang oder bei gehobenem Anlaß gebraucht wird. Als feinerer Einfluß ist auch das Auftreten von „ch“ für altes „h“ oder „w“ zu werten: „Schuch“ (Schuh), „ein hocher Herr“, „neuchi Umschläg : Dieses „ch' ist den altoberösterreichischen Mundarten fremd und fließt heute noch durch das Enfallstor zwischen Enns und Steyr von Osten in unser Land ein. In der Gegen¬ wart läßt sich aber durch den Einfluß der Schriftsprache bereits wieder eine rück¬ läufige Bewegung bemerken. Der Gegensatz zwischen mundartlichem „sie hand“ und feinerem „sie seind, (sie sind) tritt auch heute noch im Gebiet von Steyr als Grenzgegend auf. sand Im Vokalismus scheint vor allem am Beispiel des mittelhochdeutschen „ei' die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Mundartgebieten auf. Die oberösterreichische Entsprechung für diesen Laut ist wie fast im ganzen bayrischen Sprachgebiete der Zwielaut „oa“: „koa“ (kein), „Emoanstuebn“ (Gemeinstube), Pfoadln“ (Pfeideln, Hemden). Daneben zeigt sich aber schon sporadisch der „hamb“ (heim), „lad“ (leid), Wiener helle „a“-Laut für mittelhochdeutsches „ei“: „wana“ (weinen). Kennzeichnend für den feineren Wert dieser Lautung ist der Umstand, daß der Viertelmeister als „Viertelmaster“ angesprochen wird und das „a“ auch im Wort „halig“ (heilig) gebraucht wird. Der mittelhochdeutsche Zwie¬ laut „uo“ fiel vor Nasalen lautlich mit der Mundartentsprechung für „ei zu¬ ammen; das Nebeneinander von „wir toan — wir tan“ (wir tun) ist daher den Verhältnissen bei „ei“ gleichzustellen. Von Osten her dringen die Gleitelaute zwischen einem Vokal und einem folgenden „r“ ein, die der oberösterreichischen Mitte fremd sind: „ghoartnt“ (ge¬ 139

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