75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

art der bestimmten Gegend — in der „Armen Margaret“ an die Mundart von Steyr — gelingt es der Schriftstellerin, uns durch die gewählte Sprachform allein schon in die Sphäre des oberösterreichischen Bauernkrieges zu versetzen. Bestimmte und angedeutete Zeitangaben im erzählenden Teil zusammen mit der lebenswahren, blutvollen Darstellung der Gestalten erwecken im Leser die Gewißheit, daß in jener Zeit wirklich so gesprochen wurde. Die Sprachform ist für Enrica von Handel-Mazzetti eines der Hauptmittel, vielleicht sogar das wichtigste, die künst¬ lerische Illusion zu erwecken, den Leser aus seiner Gegenwart in die Zeit des Nomanes zu versetzen, ihn zum unmittelbaren Zeugen der dargestellten Gescheh¬ nisse zu machen. Die Werke Enrica von Handel-Mazzettis dürfen für den Sprach¬ forscher nicht Quellen alter Sprachformen sein, er darf nicht kritisch-sprachgeschicht¬ lich die mehr oder minder große Berechtigung der von der Schriftstellerin ge¬ wählten Sprachmittel untersuchen wollen. Umso lohnender und spannender ist für den Sprachforscher ein Blick in die Arbeitsweise der Schriftstellerin, wie sie die von ihr gewählten Sprachmittel zur Erreichung ihrer künstlerischen Absicht verwendet Zwei Mittel helfen der Schriftstellerin, die künstlerische Illusion im Leser zu wecken: archaisierende Sprachformen und Mundartformen. Die ersteren fanden bereits an anderer Stelle eine eingehende Würdigung (Dr. Nhabana Münckel: Die Stilmittel der Enrica v. Handel-Mazzetti, in P. Siebertz: Enrica von Handel Mazzetti, Persönlichkeit, Werk und Bedeutung, München 1930, S. 241—290; besonders das Kapitel über „Wortschatz und archaisierende Formen“ S. 281-290), Es ist oft schwer, klar zwischen „archaisierenden“ und Mundartformen zu scheiden, da die Mundart zahlreiche alte, der Schriftsprache nicht mehr bekannte Sprach¬ formen bewahrt. Die Blickrichtung bestimmt daher, welcher Gruppe von Stil¬ mitteln einzelne Formelemente zuzuweisen sind. Die heute noch mundartlich ge¬ bräuchlichen Spracherscheinungen wie die nichtschriftsprachlichen, aber alten Wörter „heil“ (glatt), „schlaunen“ (beeilen), „Eicht (Weile), „Erchtag“ (Dienstag) usw., die alten Dualformen des Personalpronomens „es“ und „enk“, der Ausfall, bzw. die Assimilation der Vorsilbe „ge-“ vor Verschlußlauten wie in „tan (getan), „gangen“ (gegangen), „bracht“ (gebracht), die Vorsilbe „der-“ statt „er- wie in „derstoßen, dersticken, derhungern“ sind eher den mundartlichen Bestandteilen der Stilmittel Handel-Mazzettis zuzuweisen als den archaisierenden. Die in der „Armen Margaret“ verwendeten Mundartformen auf das erste Drittel des 17. Jahrhunderts festlegen zu wollen, ist ein eitles Unterfangen: es ist überaus schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, eine früher gesprochene Sprache eindeutig rekonstruieren zu wollen, da die Schreibweise auch damals schon traditionell gebunden, wenn auch noch nicht fixiert war, und daher der genaue Lautwert der einzelnen Schriftzeichen nur schwer zu erschließen ist. Enrica von Handel-Mazzetti durfte als Künstlerin frei aus altem Sprachgut schöpfen ohne sich genau auf die betreffende Zeit beschränken zu brauchen, um ihre künst¬ lerische Absicht zu erreichen Mit dem Problem der zeitlichen Fixierung ist das der räumlichen Festlegung engstens verknüpft. Die neue Dialektgeographie hat uns gelehrt, daß die Ver¬ breitungsgebiete von Spracherscheinungen nicht fest sind, sondern daß sie sich aus¬ dehnen und zusammenschrumpfen, daß neue Sprachformen entstehen und alte ver¬ schwinden. Mundartformen, die heute in einem Gebiet gelten, brauchen daher 138

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