75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Die Kundartelemente in Enrica von Handel¬ Mazzettis „Arme Margaret“. Dr. Herbert Grau. Wie ein wuchtiges Drama rollt die Handlung des Nomans „Die arme Margaret“ vor den Augen des Lesers ab, der, gezwungen von der Gewalt der Sprache und dem Fluß der Handlung, die Gestalten wie lebend sprechen hört und handeln sieht. Die Charaktere des Nomans entwickeln sich weniger aus ihren Handlungen und Taten, als vielmehr aus ihren Reden. Die Rede — direkt, indirekt oder als Gedankenschilderung — dient Enrica von Handel-Mazzetti als Hauptmittel der Charakterisierung. Wohl sämtliche Formen sprachlicher Außerung finden wir in der „Armen Margaret“; vom Gebet Zettls bis zu den Wutschreien der Steyrer, vom ohnmächtigen Gestammel der Margaret bis zu den stolz¬ höhnischen Befehlen des Leutnants, vom verführerischen Geflüster Contis bis zu harten militärischen Kommandos Doch nicht allein die einzelnen Charaktere und Stimmungen finden in der Sprache ihren Niederschlag, auch die Zugehörigkeit der Gestalten zu verschiedenen Mundartgebieten, Standesschichten, Berufen, ja sogar Konfessionen spiegelt sich in ihrer Sprache. Die beiden Faktoren der inneren Bestimmtheit der Sprache eines Einzelmenschen und ihrer äußeren Bedingtheit schlingen sich in buntem Wechselspiel ineinander. Mit feinstem Einfühlungsvermögen und unbewußter Treffsicherheit findet die Schriftstellerin für jeden Charakter, für jede Lage, für jede Gefühlsregung den richtigen sprachlichen Ausdruck, so daß uns ihre Gestalten als Menschen von Fleisch und Blut, voll Leben und Seele entgegentreten. Durch eine Sprache lassen sich drei Schnitte legen: ein zeitlicher, ein räum¬ licher und ein sozialer. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, der Zeit, in der die Handlung der „Armen Margaret“ spielt, stand unsere neuhochdeutsche Schriftsprache noch in ihren Geburtswehen. Das katholische Süddeutschland lehnte noch die Sprachform der Bibel Luthers als ketzerisch ab. Die Sprachform des Wiener Hofes galt zwar als vorbildlich und wirkte daher einigend auf das österreichische Sprachgebiet, doch im wesentlichen baute sich die sprachliche Ausdrucksform der einzelnen Gebiete nach wie vor auf den landschaftlichen Mundarten auf. Selbstverständlich stand die gesprochene Sprache viel länger und stärker unter der Herrschaft der Mund¬ arten als die geschriebene. Enrica von Handel-Mazzetti versucht in ihren Werken, sich stützend auf das Studium zeitgenössischer Schriften und vertrauend auf ihr intuitives Einfühlungs¬ vermögen, den Sprachstil der jeweiligen Zeit zu treffen. „Die arme Margaret als Quelle für das Studium der Sprachform des Zeitalters der Gegenreformation und des Barock auswerten zu wollen, hieße das Wesen eines Kunstwerkes ver¬ kennen. Durch die Verwendung von Stilmitteln der Chroniken jener Zeit, durch archaisierende Wörter und Wortformen und durch starke Anklänge an die Mund¬ 137

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