75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

lichungen über die Dichterin erlassen, ein Verbot, das allen denen einen Schlag ins Gesicht versetzte, denen kulturelle Aufbauarbeit am deutschen Volke am Herzen liegt. Wenn Kultur eine Vervollkommnung der menschlichen Gesittung, Lebens¬ führung und Lebensgestaltung bedeutet, dann gehört der Genius der Dichterin Handel-Mazzetti zu den Kräften, die aus dem Tiefsten schöpfend, in ihrer Dich¬ tung der ringenden, vielfach irre geleiteten Menschheit den Quell der ewigen unumstößlichen Wahrheit nach den Gesetzen der Kunst und der Schönheit erschließt. Eine höhere menschliche Gesittung kann niemals durch Lüge, und sei sie durch noch so geschickte propagandistische Mittel maskiert und getarnt, erreicht werden, sondern einzig und allein durch Wahrheit. Und diese Wahrheit wiederum vermittelt uns einzig und allein das Christentum, wie es Christus selbst der Menschheit verkündet hat. Unermüdlich und in immer neuen Variationen gestaltet die Kunst der Dich¬ terin den Sieg der Wahrheit und zeigt uns damit den Weg, der von der Mensch¬ heit begangen werden muß, um zu höchster Gesittung, Lebensführung und Lebens¬ gestaltung, also auf den letzten Gipfel menschlicher Kultur überhaupt zu gelangen Eine der schönsten Blüten an diesem Baume der Wahrheit, an dessen Wurzel alle Zeiten, und scheinbar mit triumphaler Macht unser verflossenes Jahrzehnt doch stets vergeblich die Axt zu legen versucht haben, ist die Liebe. Magna res est caritas hat die Dichterin als Leitspruch über ihr erstes Werk geschrieben, und er leuchtet als glanzvoller Leitstern über allen ihren Werken. Liebe ist das Licht der Wahrheit, Abglanz innerster Wahrhaftigkeit. Sie überwindet alles, auch das Machtwerk der Finsternis, die Lüge. Bekannt ist die caritative Tätigkeit der Dichterin während des vorigen Weltkrieges und in der Nachkriegszeit. Diese Liebe hat unvergleichliche Früchte gezeitigt auch in diesem furchtbarsten und sinn¬ losesten aller Kriege. Und den Sinn des Leids hat kaum jemand klarer erfaßt und gelebt als Enrica von Handel-Mazzetti. Unzählbar sind die beweisenden Bei spiele wahrer Liebe, die die Dichterin gegeben. So konnte sie allen, auch den schwersten Anwürfen ein vornehmes Schweigen entgegensetzen, und sie arbeitet unbeirrbar an der Aufgabe, die Gott ihr gestellt. Ihr Leben legt Zeugnis ab für ihr Werk, und ihr Werk bezeugt ihr Leben. Bis zur Preisgabe ihrer zarten körperlichen Gesundheit hat der Geist der Dichterin unermüdlich an ihrer Aufgabe gearbeitet, Werk für Werk geschaffen eingedenk der hohen Mission, die ihr vom Schöpfer zugefallen und ihren Händen anvertraut ist. Ihre Augen waren in höchster Gefahr der Erblindung. Die un¬ mittelbare Gefahr scheint gebannt zu sein. Die Augen sind jedoch noch immer recht schonungsbedürftig. Unermeßlichen Segen hat ihre hohe Kunst gespendet, manch Suchenden, Irrenden an den Born der Wahrheit zurückgeführt. Dies gilt ihr als schönster Lohn ihrer gigantischen Arbeit, und ist ihr tiefste Beglückung Möge der Dichterin, die, umbrandet vom Strom eines lauten Lebens, in stiller Einsamkeit und Zurückgezogenheit schafft, ihre unvergleichliche Arbeits¬ kraft erhalten bleiben, möge in den Jahren des Aufbaus unmenschlicher Zer¬ störung der Segen, den ihre Kunst verbreitete, von neuem herabströmen auf die ungezählten Leidenden, die Opfer eines furchtbaren Zeitgeistes, und möge dieser Segen auf die Altmeisterin deutscher Dichtkunst zurückstrahlen in tausendfacher Bereicherung ihres Lebensherbstes. Das sei der Gruß, Herzenswunsch und Dank zugleich, den Schlesien unserer großen Dichterjubilarin durch den Mund eines Schlesiers entbietet. 136

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