75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

Als Handel-Mazzetti mit ihren ersten großen Nomanen das schwere Tor auf¬ stieß, das die katholische Dichtung ebenso wie die österreichische Heimatkunst und den historischen Noman vor dem großen Schrifttum absperrte, da bewegten freilich den Österreicher und Europäer noch andere Probleme, so daß gar viele vor solchen künstlerischen Kraftleistungen und ethischen Idealen zurückschreckten, weil man an enes Entsetzliche nicht rühren mochte, das den Dreißigjährigen Krieg herauf¬ beschworen hatte. Nur dunkel empfand man in dem immer wiederkehrenden Leidensproblem der Dichterin ein Ringen um die höchste Liebe für die Menschheit. Aus einem engen, von der Welt sozusagen ganz verschlossenen Leben eines Edel¬ fräuleins, aus den nahen Grenzen ihrer wenigen Lebensstationen und aus der Beschränkung auf das höchste Ziel tritt heute die Gestalt der Dichterin, umstrahlt vom Ruhm einer Bahnbrecherin und einer Repräsentantin österreichischer Art und Kunst, wie kein anderer seit Franz Grillparzer und Adalbert Stifter, verklärt durch ihre eigene Betätigung der Caritas, hervor, vorbildlich in jenem Österreichertum das sich stets in reinster Menschlichkeit und tiefster Gläubigkeit bewährt hat. Andere zu beschenken und zu beglücken, das war stets ihr höchstes Glück. Ihre Zeit hat ihr manche Gegengabe vorenthalten, hat ihren liebsten Plätzen und ihren letzter Jahren arg mitgespielt und vieles Herbe über ihre Häuslichkeit gebracht. Auch darin hat sie als Österreicherin mitgelitten und gerade ihr Los mag manchen Ver¬ treter der Kultur für unser armes, für das schuldlose Österreich eintreten heißen Wenn von einem Menschen heute gesagt werden darf: „In deinem Lager ist dieses Österreich“, so gilt dies Wort von Enrica von Handel-Mazzetti. Ihr Leben und Wirken, ihr Sinnen und Sorgen, ihre Kunst und Feder gehörte zuvorderst ihrer Heimat. Diese hat sie freudigst verherrlicht und in Schmerzen herausge hoben. Dieser hat sie bei allem neuaufblutendem Weh an den Kämpfen Bilder der Zeit und Zukunft bis zu sener Höhe reinen Menschentums gewiesen, nach der wir sehend auf-, ja erst ausschauen. Dieser hat sie vor aller Welt und für alle Zeiten Zeichen und Zeugen einer kulturellen Bedeutung und künstlerischen Schöp¬ fungskraft geschaffen, an denen keine Kulturnation gleichgültig vorübergehen darf. Mag das junge und jüngste Österreich dank der letztjährigen Unterbindungen unseres Geisteslebens nicht mehr allzuviel von der stattlichen Reihe Handel¬ Mazzettischer Werke gelesen haben, so kann doch ihren Ruhm kein jüngerer Öster¬ reicher in den Schatten stellen. Sie hat ihr Talent bis zur Vollendung für ein Österreich von zeitlicher und übersichtlicher Sendung ausgewertet und sich auch damit in die erste Reihe der Österreicher gestellt Zu ihrem 75. Geburtstag danke daher nicht Wien, St. Pölten, Steyr und Linz; Kremsmünster, Krems und Maria Taferl und einzelne andere Orte oder eine Alters- oder Berufsklasse oder eine Weltanschauung in Österreich, sondern das ganze jetzige und alte Österreich und alles, was sich hoher, volkszugewandter Kunst, Kultur und Sittlichkeit verbunden fühlt, mit dem Wunsche, daß von neuem ein reicher Segen von ihrem Schaffen und Wirken über Österreich ausströme und die Mission ihrer Werke und ihrer Heimat sich an der neuen Zeit erfülle. Die Romane der Handel-Mazzetti gehören in die große Weltliteratur; ihr Herz heißt Österreich; denn Handel-Mazzetti hat erreicht, daß dieses ihr Österreich nicht bloß eine heißumkämpfte Heimat und ein starker Glaube sind, deren Liebe keine verengenden Grenzen kennt, sondern auch eine schöpferische Kraft und eine über¬ staatliche Idee, die der weiteren Welt frommen und die neue Zeit mitgestalten 132

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