75 Jahre Enrica von Handel-Mazzetti 1946

deutendsten deutschen Impressionisten und beginnt in München im Taumel der Schaffenslust eine gewaltige Produktion. Er verliebt sich in eine schöne Linzerin und folgt dieser als seiner Frau, die eine begabte Malerin ist, in ihre Vaterstadt. Nun wird er selbst begeisterter Lehrer einer ganzen Malergeneration, aber an der eigenen Kunst unsicher. Ein blendend gemaltes Bild schafft er nach dem andern, so malerisch, farbig und sinnenfroh, wie kaum noch viele sonst im ganzen deutschen Bereich. Er ist ein König der Malerei, fühlt sich aber nur als ein König in der Provinzstadt. Unruhe erfüllt ihn, denn er hört aus der Ferne neues Wellenrauschen der Kunst, eine neue glühende Art des Schaffens ist über die Künstler gekommen, der Expressionismus. Durch kurze Reisen schafft er sich Begriff von ihm und beginnt daheim im neuen Geist zu malen. Aber es befriedigt ihn nicht, es gilt ihm, mitten im Kampf um das Neue zu stehen, den unausgesetzten Wellenschlag der frischen Brandung zu hören. Er trifft alle Vorbereitungen zur Rückkehr nach München, reist selbst hin, aber als er sich schon nahe am Ziel glaubt, wird er von Krankheit befallen und sterbend nach Linz gebracht. Mit neununddreißig Jahren starb der größte Maler in Oberösterreich 1923, drei Jahre vor dem größten oberösterreichischen Zeichner, der nur zweiunddreißig Jahre alt wurde. Trotz allem war May keinesewgs seiner inneren Haltung nach um Nichtungen n der Kunst bemüht, er war mit allen Sinnen der Schönheit und Farbigkeit seiner Umwelt hingegeben und nur von dem einen Drang beseelt, sie zu malen, wie er sie sah. Glühendes Temperament verband sich mit Willenskraft und nur der Drang nach Zeitgemäßheit ließ ihn auf alle Regungen der Kunst in der Welt mit scharfem Ohr horchen. Als einstiger Fabriksarbeiter empfand er die Nöte der Zeit, die sich auch in der Kunst zu erkennen gaben und, wie er genau fühlte, nur durch dieser Zeit Gemäßes bewältigt werden konnten. Er war ein Sinnen¬ mensch von der schlichten Naivität eines Kindes; noch als Arbeiter verfaßte er ine Bittschrift, in der er sich um Studienermöglichung an den deutschen Kaiser wandte oder „wenigstens um einen Malkasten“. Seine Welt war die der Farbe, ein Reich der tausendfältigen Abstufungen und Werte, ein schwelgerischer Taumel schauenden Genusses, aber auch immer¬ währende Wachheit im Wägen und Prüfen. Sicherheit des Auges, darum einzig ging es Matthias May, gleichsam dem Ansturm des Lichtes, das mit Millionen Pfeilen die wechselnde Glut der Farbe gegen ihn schleuderte, standzuhalten, mit scharfem Blick den tausendäugigen Argus der buntschimmernden Welt zu bannen. Er hatte die Kraft dazu und es sollte ihm gelingen, im zähen Ringen mit dieser Welt zu siegen und seinen Triumph in jubelnden Gemälden zu verkünden. Die Welt beugte sich gleichsam vor ihm und gab ihm als Tribut den ganzen Reichtum hrer Farbe auf die Palette. Von seinem Kampf gibt die Fülle der Studien Zeugnis. Bevor May end¬ giltig den Pinsel festhielt, nahm er den Zeichenstift, die Feder, die Radiernadel in die Hand. Aber er hat auch mit ihnen nichts anderes als gemalt. Die Blätter häuften sich in seinem Atélier zu Stößen. Meist sind es figürliche Kompositionen, mit Bleistift, Rötel, Tuschpinsel eilig hingesetzt, ins Leben springend, umgeben von Atmosphäre, von Atem erfüllt, in wunderbarer Tonigkeit abgestuft. Köpfe und Akte, die er mit der Kaltnadel auf die Kupferplatte setzte, stehen wie im Hauch ihrer Lebenswärme. Im Mittelpunkt seines Trachtens steht die menschliche 101

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