70 Jahre Steyrer Zeitung

1876 Ste y r er Ze it u n g 2. Oktober 1952 FEST- AUSGABE.ZUR FEIER DES 70. JAHRGANGES ONSERVATIV wird die „Steyrer Zeitung “ genannt. Die Feier des 70. Jahrganges rechtfertigt ein ausführliches Wort darüber, warum unser Blatt konservativ ist, und was wir unter einer konservativen Lokalzeitung verstehen. Die Konserve unserer Tage könnte dem Wort eine Bedeutung unterschieben, die wir ihm nicht beimes- sen. „Bewahrend, erhaltend “ übersetzt das Lexikon den Ausdruck , konserva ­ tiv ’ . Man bewahrt und erhält, was ist, was geworden ist, dßs Geschehene, das eingegangen ist ins Leben als Fundament und Voraussetzung für die Ge ­ genwart und Zukunft. Das Leben gleicht einer Stiege, auf der man sich be ­ wegt. Die oberen Stufen setzen die unteren voraus; ohne untere Stufen wären die oberen nicht obere. Genau so steckt in jeder Lebensstufe des Menschen und der Menschheit die vorhergegangene. Keine kann ganz und glücklich übersprungen werden; sonst stimmt die spätere nicht mehr. Wer bloß konservativ ist, ist ein Verfallsmensch. Wer sich nur an das Gewesene klammert, dem zerrinnt die Wirklichkeit unter den Fingern. Das Leben gewinnt seine schöpferischen Kräfte aus der Ahnung von etwas Neuem, Kommendem, aus dem Vorwärtsblicken in das Mögliche. Dieser Blick zaubert dem Menschen das Leben in einer Schönheit, gleichsam in einer höheren Wirklichkeit vor, als sie je im gelebten Leben zu erreichen ist. Zur betont konservativen Lebenshaltung neigt der alternde Mensch. Er hat nicht mehr viel Zukunft; er lebt von den Erinnerungen an die Ver ­ gangenheit. Den Gegenpol, das Vorausstürmen, dem Neuen entgegen, vertritt vor ­ nehmlich die Jugend, unter den Menschen, Völkern, Organisationen und Ideologien. Sie verneint gern das Bisherige, weil sie selbst daran keinen Anteil hatte; sie wirft zum alten Eisen, was vor ihr war. Auch diese Ein ­ stellung ist lebensfremd. Denn das Leben ist wesentlich Geschichte; eine ungeheuer komplizierte Geschichte, die unauslöschlich als prägende, rich ­ tungbestimmende Macht ins Leben eingegangen ist. Das menschliche Leben ist darin ähnlich dem Erdboden. Er ist durch große Zeiträume gewachsen; Ablagerung, Verwitterung und vielerlei Ver ­ änderungen formten sein heutiges Aussehen. Wer den Boden bebaut, hat mit dieser Entwicklung zu rechnen, wenn er sich bei seinen Arbeiten nicht Verrechnen will. In die Erdoberfläche haben sich Flußläufe eingegraben. Alle Wasser fließen in den eingegrabenen Tälern und Flußbetten ab. Aehn- lich haben sich im Menschen Formen des Verhaltens, Erlebens, Wertens usw. gebildet. Diese Formen sind angeboren, und alle Erlebnisse werden in diesen Formen irgendwie ablaufen. Keine Gewalt oder Revolution kann dies auf die Dauer verhindern. Denn selbst alle Neuerungen, die willkür ­ lich eingeführt wurden, laufen ebenfalls in diesen Formen ab. Nicht' ein ­ mal ein kleines Kind kann von vorn anfangen; es vermag höchstens, das Leben, dessen Erbe in angeborenen Eigenschaften und Anlagen nicht nur auf Eltern und Großeltern, sondern' bis in die Steinzeit und weit darüber hinaus zurückgeht, nur mehr oder weniger lebenssinnvoll fortzusetzen. Zu diesen Prägern des menschlichen Daseins gehört die Religion mit ihrer sittlichen Ordnung. Das Christentum hat seit Jahrtausenden (also länger als jede andere Idee) auf das Wesen der Menschheit und seit etwa 1200 Jahren auf die Geschichte unseres Volkes.bestimmend eingewirkt und ihm einen Stempel aufgedrückt, der unauslöschlich und nicht zu über ­ sehen ist. Zu diesen richtunggebenden Elementen gehört die Anerkennung des Menschen als Geschöpf Gottes. Er ist zum Herrn über die Schöpfung ge ­ setzt. Alle Menschen sind Brüder. Von diesem Fundament aus ergeben sich die Lösungen aller Probleme des Einzelmenschen, der Familie und Ehe, der Gesellschaftsordnung, des Besitzes, des Verhältnisses zur Um,weit, zur Technik usw. Je konsequenter die Menschheit auf dieses Fundament auf- baut, umso geordneter und lebensgerechter lebt sie. Die Geschichte liat be ­ wiesen, daß es schiefgeht, wenn dieser Standpunkt verlassen und als zu schwer und daher fortschritthemmend über Bord geworfen wird. Das lebensgerechte Verhalten umfaßt beides, Vergangenheit und Zu ­ kunft, das konservative Element und den Blick auf das Kommende. Zum Wesen der Kultur gehört die Geschichte. Gut, recht, wahr im Sinne des Lebens ist nur das, was sich durch lange Zeit als lebensfähig bewährt hat. Diese .Ueberlegungen nun auf unser Blatt angewendet: Kann eine Zei ­ tung überhaupt konservativ sein? Es gibt doch nichts antiquierteres als eine Zeitung von gestern. „Das Neueste und Aktuellste “ ist der Lebens ­ nerv der Zeitung. Sie lebt von der Sensation — und kann vielfach nicht zuwarten, ob sich die aufsehenerregende Meldung hinterher auch als wahr erweist. Was nicht mehr neu ist, interessiert kaum. Und doch bestätigt das Blättern in alten Zeitungen, daß sie nicht uninteressant sind. Die Zwi ­ schenzeit klärt vieles; einiges ist mittlerweile, vergangen und vergessen; nicht wenig aber ist in die Geschichte eingegangen und wirkt darin weiter fort. Man sieht aus einem größeren Abstand sogar besser auf die Zusam ­ menhänge. Darum auch ist gerade die Wochenzeitung die gegebene äußere Erscheinungsform der konservativen Zeitung. In einer Woche lassen sich die Geschehnisse schon besser überblicken als an einem Tag. Dieses Klar ­ sehen und dem Leser den Blick für die Zusammenhänge öffnen gehört zur Aufgabe der konservativen Zeitung. Die „Steyrer Zeitung “ rechnet es sich demnach zur Ehre an, daß sie konservativ ist und konservativ genannt wird, konservativ im oben um ­ schriebenen Sinne, nicht anders. Wie könnte sie auch in einer Stadt und einem denkwürdigen Land die reiche Vergangenheit verleugnen, daß sie beim Bau der Zukunft vergessen und so der ganze Bau gefährdet wird? Kurz die konservative Richtung auf die einzelnen Spalten unseres Blattes übertragen: In der Politik vertritt die „Steyrer Zeitung “ nicht irgendeine Partei oder Gruppe, sondern den Grundsatz:' Die Politik'und der Staat sind nicht Selbstzweck, sondern dazu da, den Menschen und die menschliche Gesellschaft zu schützen und zu fördern. Unser Blatt geht also mit jedem Streben gemeinsam, das diesem Ziel dient, wie immer dieses Streben heißen mag, und verneint alles, was ihm entgegen ist. Der Mensch und das Volk stehen über dem Staat. Und dieser hat kein Recht, die menschliche Freiheit nach Gutdünken mehr einzuschränken, als im Interesse der Gemeinschaft notwendig ist. Die wechselnde Staatsform ist in dieser Hinsicht eine Frage von untergeordneter Bedeutung. Die kon ­ servative Zeitung vergißt nicht, daß es vor der Zweiten Republik schon etwa 1000 Jahre lang eine Herrschaft gegeben hat, und sie wertet Politiker und Parteiprogramme danach, wie weit diese auf den Fundamenten der Geschichte aufbauen oder aber geschichtslos und daher ohne dauerhafte Basis sind. Am konservativsten sind wir in den lokalen Belangen, in allem was unsere Stadt und unser Gebiet betrifft. Es geht uns nichts über unsere Heimat. Wir wollen durchaus nicht einen Glassturz über Steyr stellen und nichts in der Stadt geändert sehen, alles Alte erhalten, bloß weil es alt ist; aber wir wollen auch nicht alles Neue, bloß, weil es neu ist und doch um nichts besser als das Alte (daher unsere wiederholten Glossen über das Steyrer „nostamt", sowohl wegen der äußerlichen Verschandelung unseres Stadtbildes, als auch wogen der darin sichtbar gewordenen Anmaßung einer geschichts- und daher kulturlosen Staatsomnipotenz). Aus den bisherigen Sätzen ist auch zu verstehen, warum wir die Geburten, Heiraten Sterbe ­ falle und die vielen nicht sensationellen Ereignisse in jedem Ort berichten Wem der Mensch oberster Maßstab ist, dem bedeutet der Beginn oder das Ende eines Menschenlebens — ohne Rücksicht auf Herkunft und Rane — ungleich mehr als etwa eine dreistündige Rede über den Staatsvertrag Und dem sind Ehe und Familie als Ursprung und Hort des Menschen Ein Puch-Roller ist zu gewinnen Zum 70. Jahrgang gibt die „Steyrer Zeitung 4 * allen ihren treuen Lesern und Mit ­ arbeitern die Chance, in einem Jubiläums-Preisausschreiben einen der vielen wertvollen Preise zu gewinnen, und zwar: 1. einen Puch-Roller ........................................................... im Werte von S 8.000 2. einen Minerva-Radioapparat, Messeneuheit ................ im Werte von S 2.450 3. eine Wohnziinnier-Garnitur (Bettbank, Tisch, 2 Fauteuils) im W'erte von S 2.000 4. eine Wohnzimmer-Garnitur (Tisch und 3 Fauteuils) . . im Werte von S 1.600 5. ein Fahrrad ........................................... *. .................... im W'erte von S 900 6. ein kompl. Speiseservice (Porzellan in. Goldrand, 27teilig) im Werte von S 650 7. eine lösteinige Schweizer Armbanduhr (nach Wahl für Damen oder Herren) ....................................................... im W'erte von S 400 8. eine Kassette Besteck (IBteilig, rostfrei) ................ im Werte von S 200 9. ein Kaffeeservice (9teilig) ............................................ im Werte von S 150 10. u. 11 je drei Meter Dirndlstoff nach Wahl (Handdruck) im Werte von S 100 12. ein Junghans-Wecker ........................... im Werte von S 100 13. eine Besteck-Kassette (Haushaltgarnitur, rostfrei) ... im Werte von S 73 14. ein Likörservice (7teilig, Glas) ................................... im W erte von S 70 15. bis 25. je ein Kilogramm feinste Suchard-Schokolade (nach Wahl Nuß oder Milch) .................. ...................... im W'erte von S 60 Außerdem haben eine Reihe von Firmen dankenswerter Weise verschiedene Schöne Preise für dieses Preisausschreiben gestiftet. Die Fortsetzung der Preisliste und die Bedingungen des Preisausschreibens finden Sie im Innern dieser Festbeilage. höchste Güter, die zu verteidigen und zu fördern sind, auch durch ent ­ sprechende Gesetze und materielle Hilfe seitens der Gemeinschaft. Weil aber jeder Mensch nicht mir Eltern und Großeltern, sondern weit in die Geschichte zurückreichende Ahnenreihen hat, die sein Wesen mit- bestimmen so wie auch seine Umgebung, seine Heimat; darum liegen uns ebenso die Verbundenheit mit der Heimat und seiner Geschichte und mit der Natur am Herzen. Die Pflege der Heimatkunde und Heimatgeschichte be ­ stimmen wesentlich den Inhalt unserer Unterhaltungsbeilage. Hinsichtlich der Wirtschaft und Technik gilt wiederum der Mensch in der lebensgerechten Ordnung als Maßstab. Danach entsprechen weder die Kollektivwirtschaft noch der Kapitalismus. Im Kollektiv ist der Mensch namenloses Rad in einem seelenlosen Getriebe; das ist seiner un ­ würdig. Der Kapitalismus beutet den Menschen aus auf Kosten jener, welche statt eigener Leistung ihr Geld arbeiten lassen. Die gerechte Ord ­ nung mißt jedem das Recht zu, Eigentum zu erwerben und zu besitzen, und die Pflicht, diesen Besitz mit Rücksicht auf die Gemeinschaft redlich zu verwalten. Damit decken sich verschiedene Bestrebungen unserer Zeit, die den Arbeiter zum Mitbesitzer, Mitaktionär oder Genossenschafter in sei ­ nem Betrieb machen, die ihm durch Wohnungs-und Stockwerkseigentum zum Besitz eines eigenen Heims helfen und ähnliche Ziele; sie wurden bisher in mehreren Ländern und verschiedentlich auch bei uns in die Tat um ­ gesetzt. Und diese Versuche berechtigen zu großen Hoffnungen. Wenn ihn sich der Tüchtige und Strebsame nicht leisten kann, dann hilft aller wirtschaftliche und technische Fortschritt nichts. Zur Wirtschaft noch ein eigenes Wort über die Landwirtschaft als dem durch die stete Verbindung mit Natur und Boden am meisten kon ­ servativen Teil unseres Volkes. Jedes Weizenkorn, das wir zu unserer Er ­ nährung zu wenig erzeugen und also einführen müssen, macht uns abhän ­ gig vom Ausland. Also ist der Boden die wichtigste Grundlage unserer Freiheit, und zwar für das ganze Volk. Das zu bedenken, ist für jedermann wichtig. Der Bauer muß wissen, daß er eine große Verantwortung für das ganze Volk trägt; und der Städter muß wissen, woher das Brot kommt. Eine Kluft zwischen Stadt und Land ist etwas vom Gefährlichsten, was es gibt. Die Kenntnis um die Vorteile und Nöte auf beiden Seiten baut die besten Brücken über die besonders in den ersten Nachkriegsjahren auf ­ gerissene Kluft. Sie zu vermitteln, gehört zu den Aufgaben einer konser ­ vativen Zeitung. Dazu ist noch eins zu sagen: Technischer Fortschritt und steigender Mangel an Arbeitskräften bringen eine rasch zunehmende Me ­ chanisierung und Rationalisierung der Landwirtschaft mit sich. Dabei ist es doppelt wichtig, daß der Bauer — eingedenk der lebensgerechten Ord ­ nung — im Kern konservativ bleibt. Sieht man z. B. im Wald nur das Holz, das sich in Geld umsetzen läßt, und schlägt man also, wie es die Marktlage, nicht wie es der Wachstumsstand anrät, so rächt sich die Natur bitter durch Klimaänderungen, Verkarstungen usw. Macht die Ra ­ tionalisierung aus dem Bauern einen Materialisten, der beim Anblick des Weizenfeldes nur das Geld klingen hört, das die Frucht einbringt, dann ist die naturgegebene Ordnung auch auf dem Lande zerrüttet. Der Gerichtssaal bericht dei ’ konservativen Zeitung hat die Auf ­ gabe eines Prangers. Im Staate als Stellvertreter der höchsten sittlichen Instanz ist die Unabhängigkeit der Rechtssprechung der wichtigste Damm gegen das Chaos. Diesen Damm zu stützen, durch objektive Berichte über ausgesprochene Gerichtsurteile mitzuhelfen, daß die positiven Kräfte über ­ zeugt werden: es gibt eine Gerechtigkeit im Lande, und daß labile und ne ­ gative Elemente abgeschreckt werden, gegen Gesetz und öffentliche Moral zu verstoßen, ist das Ziel des Gerichtssaalberichtes, nicht Sensationslust oder die Absicht, jemanden zu schädigen. ' Auch in der Kultur mißt eine konservative Zeitung danach, wie auf den geschichtlichen Entwicklungen und Gegebenheiten aufgebaut Wurde. Wenn also z. B. Picasso bewußt „ganz von vorn “ anfängt und gleichsam wie ein Säugling malt, als hätte es vorher keine Kunst gegeben, wenn er den Menschen darstellt etwa mit einem Auge über der Nase und einem Ohr in der Hand, so mag das ein Plakat sein, das die wirkliche Verfassung manches Menschen unserer Tage anschaulich und mahnend wiedergibt, aber kein Kunstwerk in unserem Sinne. Besonders hat sich die konser ­ vative Zeitung des bodenständigen Kunstschaffens und der Volkskunst anzunehmen. Im Sportteil konservativ zu sein, ist besonders schwer. Denn der' Sport hat zwar große Vorbilder in der Antike. Aber in der vielfach zum Geschäft degradierten Sportindustrie unserer Zeit findet man nicht leicht die gesunden Wurzeln. Am meisten noch im Turnen, in der Leichtathletik, in „unrentablen “ weil wenig populären Sportarten und in der Sportaus ­ übung auf dem Lande. Das war zur Linie unseres Blattes zu sagen. Es ist nicht immer ein ­ fach, diese Aufgaben im grauen Alltag stets klar und konsequent zu ver ­ folgen. Aber in einer Zeit großer Umwälzungen unerläßlich. Und das Ziel lohnt alle Mühe, die des Lesers, des Mitarbeiters und des Journalisten. Es sei in diesem Zusammenhang allen jenen gedankt, die der „Steyrer Zeitung “ auf diesem Wege treu geblieben sind, allen Berichterstattern und sonstigen Mitarbeitern, allen Lesern und Freunden unseres Blattes, allen Verschleißern und Austrägern und auch allen Inserenten. Mit dem Dank wird die Bitte verbunden, auch im achten Jahrzehnt der „Steyrer Zeitung “ die Treue und das Wohlwollen zu bewahren. Die Menschheit gleicht einem Riesen, der auf dieser Erde umherirrt und schwere Gewichte an einer Kette hinter sich herschleppt. Wenn er klug ist, wird er seine Kette so tragen, daß sie ihn im Gehen nicht behin ­ dert. Diese Gewichte an der Kette sind die Gegebenheiten des Lebens, das Gewordene im Menschen, seine Geschichte und ihr Erbe, alles, was der Mensch mitnehmen muß und nicht abschütteln kann. Nur der unerfahrene Draufgänger glaubt sich ganz frei und unbelastet von dem Gewordenen; er glaubt, die Zukunft im Sturm nehmen zu können, und erlahmt nach ’ kurzen Schritten. Der Konservative weiß um die Gegebenheiten und be ­ wältigt sie Schritt für Schritt im wahren Fortschritt. ’ ADOLF MAYRHUBER

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